Flexibilitätsreserve für den Wohnungsmarkt
Leistbarer und verfügbarer Wohnraum ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum einer Region. Denn ohne ein elastisches Wohnungsangebot versiegt der Zuzug an Fachkräften und verfügbare Stellen können in den Unternehmen nicht besetzt werden. Die Wertschöpfung in den Firmen und der Region stagniert, weil neue Mitarbeiterkapazitäten nicht wie erforderlich erweitert werden können. In vielen Ballungsräumen in Deutschland droht eine solche Situation. Denn in mehr als der Hälfte der kreisfreien Städte liegt der Wohnungsleerstand inzwischen unter zwei Prozent und damit unter der Fluktuationsreserve von drei Prozent. Im Ergebnis geht auch die Zahl der Umzüge zurück. Die sogenannten Fluktuationsrate war um die Jahrtausendwende in Berlin noch zweistellig, heute liegt sie nur noch bei ca. fünf Prozent. Als Richtwert für einen gesunden Markt gelten acht Prozent.
Gründe für diese Entwicklung sind der Trend zur Urbanisierung, ein im Vergleich zum Bedarf deutlich zu gering ausfallender Wohnungsbau und der sogenannte Remanenzeffekt. Dieser besagt, dass Wohnungen, die einst von Familien mit Kindern bezogen wurden, nach deren Auszug lange von nur ein bis zwei Personen bewohnt werden, was wiederum zu einem starken Anstieg der nachgefragten Quadratmeterzahl pro Person führt. Es liegt somit nahe, dass die Wohnungsmärkte in den Städten deutlich flexibler gestaltet werden müssen, um Nachwuchskräfte, die die Städte heute noch wachsen lassen, zu locken. Denn die Befristung von Stellen, Projekt- und Remotearbeit sowie Fernbeziehungen sind, namentlich in der Generation der 18- bis 30-Jährigen, gelebte Praxis. Junge Menschen suchen daher längst nicht mehr nur klassische Mietwohnungen oder Zimmer in einer WG. Deshalb ist auch fraglich, ob sich der Bedarf an flexiblen Individuallösungen mit wohnungswirtschaftlichen Mitteln überhaupt optimal lösen lassen. Die in Deutschland üblichen dreimonatigen Kündigungsfristen sind ein wichtiger Beitrag für den Mieterschutz. Sie stehen jedoch den Mobilitätsanforderungen wichtiger Nutzergruppen entgegen.
Gewerbliche Wohnungsangebote setzen hier an und schaffen Alternativwohnraum, insbesondere für Einzelnutzer. Co-Living-Projekte und Serviced Apartments ermöglichen es Nutzern, spontan auf Anreize und Chancen zu reagieren und ohne Komfortverlust rasch den Wohnort zu wechseln. Insbesondere nach dem Lockdown bedeutet dies ein Zurück zu entbehrter Lebensqualität. Ein konstant hohes Ausstattungsniveau ist daher für gewerbliche Wohnangebote ebenso Pflicht wie die Möglichkeit zur Vernetzung und zum physischen Kennenlernen. Wer neu in einer Stadt ist, schätzt es, in den angebotenen Gemeinschaftsflächen zum gemeinsamen Filmabend zusammenzukommen, oder den Co-Working Bereich zum Arbeiten zu nutzen. Insbesondere für Fachkräfte, die mehrmals im Jahr den Arbeitsort wechselt – ein Phänomen was durch Remotearbeit für eine junge Generation immer attraktiver wird – ist die löffelfertige Ausstattung des Apartments ein Entscheidungsgrund bei der Unterkunftswahl. Diese Zielgruppe benötigt also per se keine feste Mietwohnung mehr, wohnt auf Zeit, und konkurriert, wenn ein Serviced Apartment Angebot in einem Markt existiert, nicht mit den Einwohnern einer Stadt um den knappen Wohnraum.
Zum Komfort gewerblichen Wohnens gehören zudem auch Serviceangebote, die eine Zeitersparnis für die teils anspruchsvollen Nutzergruppen generieren. Viele, die mehr als 40 Stunden in der Woche engagiert arbeiten und nebenher noch einer Freizeitbetätigung nachgehen, fragen eine regelmäßige Reinigung sowie weitere aus dem Hotelbereich bekannte Serviceleistungen nach. Eine eigene Kitchenette und ein Waschsalon im Haus entlasten gleichzeitig von dem Zwang, unbedingt auswärts essen beziehungsweise die Wäsche in die Reinigung geben zu müssen. Damit erschließen Serviced Apartments auch Kundenkreise, für die klassische Hotangebote als serviceorientierte Übernachtungsalternative insbesondere aus Kostengründen in der Regel nicht in Frage kommen.
Neben der Lücke im Kontinuum der Übernachtungsangebote – zwischen Wohnen und Hotel – schließen gewerbliche Wohnungsangebote zudem auch mehr und mehr Brachen und schwierige städtebauliche Situationen, zum Beispiel an stark befahrenen Straßen oder am Übergang zwischen einen Gewerbe- und einem Wohngebiet. Denn sie unterliegen eben nicht den strengeren Emissionsgrenzwerten einer Wohnnutzung. Hinzu kommt, dass eventuelle Umwidmung eines bestehenden Gewerbegebiets in ein Wohn- oder Mischgebiet oft mehrere Jahre beansprucht. Aus Sicht der jeweiligen Kommune ist es daher oft zielführender, an einen Standort einen Neubau für gewerbliches Wohnen zu ermöglichen, als nach einem langwierigen Verfahren möglicherweise Wohnungen zu errichten.
Eine direkte Konkurrenz von Serviced Apartments zu wohnwirtschaftlichen Nutzungsarten wie zum Beispiel Mietwohnungen ist aus den oben genannten Gründen jedenfalls nicht zu befürchten. Weder aus Perspektive der Nutzer, beziehungsweise Mieter, noch aus städtebaulicher oder gesellschaftlicher Perspektive. Eher handelt es sich um eine wertvolle Ergänzung, die im besten Fall durch ein neues, innovatives Übernachtungsangebot zu einem weiteren wirtschaftlichen Wachstum am Standort führt und den Wohnungsmarkt einer Stadt sowohl für Einwohner als auch für Zuzügler attraktiver macht.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von STAYERY - BD Apartment
Erstveröffentlichung: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Novemeber 2021