Brauchen wir in Deutschland noch weitere Shoppingcenter?
Die Frage, ob wir in Deutschland noch weitere Shoppingcenter brauchen, könnte man sich mit einem Blick in die Statistik einfach beantworten. Im europäischen Vergleich steht Deutschland, gemessen an der Verkaufsfläche in Shoppingcentern je 1.000 Einwohner, allenfalls im Mittelfeld. Dies gilt übrigens auch, wenn man deren Umsatzanteil im Verhältnis zum Gesamteinzelhandelsumsatz betrachtet. Deutschland rangiert hier weit abgeschlagen hinter den skandinavischen Ländern, hinter UK, den Niederlanden, der Schweiz oder auch Frankreich. Selbst bei nunmehr deutschlandweit knapp 500 Shoppingcentern besteht – rein statistisch betrachtet – ein deutlicher Nachholbedarf oder scheinbar viel Spielraum für Neuentwicklungen.
Jedenfalls erfreuen sich die gut gemanagten Shoppingcenter nach wie vor großer Beliebtheit bei den Kunden. Trotz massiv steigender Marktanteile im Onlinehandel können diese Center ihre Besucherfrequenzen, ihre Umsätze und Flächenproduktivitäten nicht nur halten, sondern gar noch steigern. Dies vor dem Hintergrund rückläufiger Besucherfrequenzen in vielen Citylagen.
Zukünftig werden Shoppingcenter ihre Marktpräferenzen allerdings nur dann nutzen können, wenn sie – neben ihren klassischen Bequemlichkeitsvorteilen wie Witterungsschutz, guter Erreichbarkeit, marktgerechtem Branchenmix etc. – konsequent auf permanente Innovation setzen. Regelmäßige Investitionen in Restrukturierungen, Aufenthaltsqualität, Rauminszenierungen, ständige kundenadäquate Anpassung der Mieterkonzepte und – vor allem – umfassender Omnichannel-Service sind zwingende Voraussetzungen zukunftsfähiger Shoppincenter. Mit anderen Worten: Der Erfolg eines Centers steht und fällt mit der Innovationskraft des Managements.
Bekanntlich stehen deutsche Shoppingcenter auch bei den Investoren hoch im Kurs. Die Nachfrage, befeuert zunehmend durch internationale Investoren, trifft auf ein überschaubares Angebot an Bestandsobjekten mit Wertschöpfungspotentialen. Neuentwicklungen bleiben komplex und werden immer zeitaufwendiger. Gleichwohl treibt die Niedrigzinspolitik den Anlagedruck der Investoren. Von Jahr zu Jahr steigt das Transaktionsvolumen bei gleichzeitig fallenden Renditen und steigenden Risiken. Mangels Angeboten erzielen mittlerweile Shoppincenter, selbst in mittelklassigen Lagen mit funktionalen Schwächen, Renditen deutlich unter 5 Prozent. Dem hohen Nachfragedruck seitens der Kunden und der Investoren steht ein vergleichsweise geringeres Angebot an Neuentwicklungen gegenüber.
Für diese Situation gibt es gute und weniger gute Gründe. Nun mag man einwenden, dass die Entwicklung neuer Shoppincenter nicht bedingungslos den Marktgesetzmäßigkeiten überlassen werden könne. Im Sinne einer geordneten Landesplanung und Stadtentwicklung lenkt eine vernünftige Planungspolitik die Investitionen in die ausgewiesenen zentralen Orte und schafft damit auch ein Stück Investitionssicherheit. Mit Recht sind Neuentwicklungen an Greenfield Standorten spätestens seit Ende der 1990er Jahre mit Rücksicht auf die Entwicklung der Innenstädte kommunalpolitisch ein NoGo. Aber auch sogenannte Brownfield-Standorte, sofern sie nicht in die ausgewiesene Zentrenhierarchie der Städte passen, sind planungsrechtlich außen vor. Neue Shopping Center gehören selbstverständlich in die Innenstädte oder in integrierte Stadteilzentren. Hier wirken sie in aller Regel als Impulsgeber. Aufgrund ihres vielfältigen Angebotes und ihrer Attraktivität binden sie mehr Kunden aus dem Umland und befruchten durch Koppelungseffekte die Innenstädte. Die erhöhten Besucherfrequenzen lösen nicht selten eine Welle von Folgeinvestitionen in der näheren und weiteren Umgebung aus.
Für Entwickler bleiben auch zukünftig zentrale Innenstadtlagen oder Stadtteilzentren in den Metropolstädten im Trend. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie für unsere nationalen und internationalen Mietpartner als umsatzsichere Handelslagen gelten.
Aber: Innenstadtgrundstücke bleiben knapp und teuer, deren wirtschaftlich tragfähige Aktivierung – in der Regel bebaut, vermietet und in der Hand vieler Eigentümer – ist langwierig und risikoreich. Projektentwicklungen von Shoppingcentern lösen fast zwangsläufig polarisierende kommunalpolitische Grundsatzdiskussionen aus. Sie sind eine nahezu ideale Spielwiese für Aktivisten von Bürgerinitiativen und Bürgerentscheiden. Um politische Akzeptanz zu erzielen, muss sich der Projektentwickler nicht selten auf eine jahrelange Diskussion einlassen. Viele Projekte scheitern bereits in dieser Phase. Schafft der Entwickler den politischen Durchbruch, muss er schließlich – selbst in zentralsten Innenstadtlagen – mit restriktiven Planungsrecht rechnen, z.B. durch wettbewerbsbeschränkende Sortimentsfestsetzungen.
Kurzum: Neuentwicklungen von Shoppingcentern benötigen Vorlaufzeiten von durchschnittlich einer Dekade, mit steigender Tendenz. Projektentwickler benötigen nicht nur einen langen Atem, sondern auch viel Überzeugungskraft, hohe Risikobereitschaft und schließlich das nötige finanzielle Stehvermögen. Möglicherweise sind dies wesentliche Gründe für die rückläufige Anzahl von Neuentwicklungen in den letzten Jahren. Hinzu kommt ein aus verschiedensten Richtungen immer wieder geäußertes „Sättigungsgefühl“ nach dem Motto: „Immer die gleichen Standard-Malls mit den immer gleichen Filialisten.“ Grund genug für viele Projektentwickler sich auf die Restrukturierung und Profilierung von Bestandscentern zu fokussieren, statt langatmiger Neuentwicklungen. Mit dem Refurbishment werden oftmals Erweiterungen verbunden, soweit sie planungsrechtlich durchsetzbar sind. Andere konzentrieren sich auf Neuentwicklungen kleiner Center in kleineren Mittelstädten unter 100.000 Einwohner. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, denn: Je kleiner die Stadt bzw. das tatsächlich relevante Einzugsgebiet, desto höher das Risiko im Wettbewerb mit benachbarten Oberzentren und Metropolstädten ins Hintertreffen zu geraten. Ob ein Shoppingcenter klassischer Prägung mit starkem Fashionund Textilakzent in kleineren Städten langfristig Bestand hat, bedarf jedenfalls sehr gründlicher Markt- und Wettbewerbsanalysen im Vorfeld der Projektentwicklung. Idealerweise wünschen sich die großen Investoren aus guten Gründen große Shoppingdestinationen am liebsten in den „Big 7“ oder „Big 10“ Metropolstädten mit wachsender Bevölkerung. Aus meiner Sicht gibt es in zahlreichen wachsenden Oberzentren nach wie vor gute Chancen zur Entwicklung innovativer Innenstadtquartiere mit den Leitfunktionen Shopping und Gastronomie.
Fakt ist: Getrieben vom E-Commerce werden die Kunden noch bequemer und gleichzeitig immer anspruchsvoller. Für die Städte und die Entwickler von Innenstadtprojekten bedeutet das:
Es ist Zeit für eine Neuorientierung zu mehr Qualität und weg vom Standard. Dies beginnt bereits beim Städtebau und der Architektur. Die Kunst besteht darin, notwendigerweise große Bauvolumen so zu gliedern, dass sie die städtebauliche „Körnigkeit“ des individuellen Stadtgrundrisses aufnehmen. „Center“ der nächsten Generation werden mehr und mehr zu Mix-Use-Stadtquartieren mit eindeutigem Handelsschwerpunkt, geschickt kombiniert mit Wohnen, mit Büros, mit Hotels, mit Kultur und Entertainment und vor allem größeren und vielfältigeren Gastronomiekonzepten. Wir sprechen bei Unibail-Rodamco bewusst von „Dining-Experience“. Im Vordergrund steht das Schaffen urbaner Aufenthaltsqualitäten mit abwechslungsreichen Rauminszenierungen. Um der genannten Austauschbarkeit entgegenzuwirken wird es darauf ankommen, dem Wunsch der Bürger nach Identifikation mit ihrer Stadt, mit ihrem Stadtquartier zu entsprechen, also Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, z.B. durch Integration historischer Gebäude.
Statt einer Standard-Mall entstehen witterungsgeschützte „stadt-öffentlich erlebbare“, aber privat gemanagte Boulevardsplätze. Entscheidend bleibt natürlich die maßgeschneiderte Retailpositionierung mit der richtigen Kombination aus bekannten Brands und individuellen regionalen Konzepten. Je nach Stadt und Standort führen unterschiedliche Profile zur Identität, mal stylisch, mal bürgerlich, mal kosmopolitisch. Qualitätsoffensiven in Service und Komfort als Daueraufgabe zeigen, dass der Kunde mehr denn je in den Mittelpunkt aller Überlegungen tritt. Die Unibail-Center durchlaufen zum Beispiel einen umfänglichen Zertifizierungsprozess. Durch jährliche unangekündigte Prüfungen werden die Qualitätsstandards dauerhaft gesichert. Europaweit tragen erst 15 Center das begehrte Vier-Sterne-Qualitätssiegel, darunter die Münchener Pasing Arcaden und das Minto in Mönchengladbach.
Einige jüngst eröffnete Center deuten bereits beispielhaft in die neue Dimension. Dazu zählen städtebaulich das Forum Hanau, das Milaneo in Stuttgart als Mix-Use-Quartier mit Wohnen und Hotel, aber auch das Minto in Mönchengladbach hinsichtlich Stadtintegration, Gestaltungsanspruch und Komfort. Das szenisch-stylische Bikini Berlin und die Mall of Berlin sind mutige Beispiele, dem jeweiligen Handelsstandort eine eigenständige Prägung zu geben. Mit der Entwicklung des Südlichen Überseequartiers in der Hamburger HafenCity wird Unibail-Rodamco bis 2021 mit einem Invest von 977 Millionen Euro ein gemischt genutztes handelsgeprägtes Innenstadtquartier in Wasserlage mit touristischer Prägung realisieren. Dazu gehört ein innovatives Handelskonzept verteilt über 80.500 Quadratmeter, Dining Experience mit einer Vielzahl spannender Gastronomiekonzepte, ca. 500 Wohnungen, drei Hotels, Arbeiten in modernen Offices in drei Towers, Kultur und Entertainment und dem integrierten Kreuzfahrtterminal. 13 international renommierte Architektengruppen stehen dafür, dass das Quartier ein stadtbildprägendes Ensemble wird.
Stadtintegrierte Center und Stadtquartiere der neuen Generation wirken als Urbanitätstreiber der Innenstädte. Ziel ist es, den Menschen „Lust auf Innenstadt“ zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass auch die Städte und ihre Stadtplaner dies erkennen und im gemeinsamen Interesse für lebendige Innenstädte ihre teils restriktive Haltung gegenüber handelsorientierten Projekten hinterfragen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2016