01.06.2016

Regulatorische Fesseln

Zu viele Hemmschuhe für den Wohnungsbau

Kruno Crepulja, CEO, Instone Real Estate Group AG
Kruno Crepulja

Der Wohnungsbau in Deutschland wird durch eine Reihe regulatorischer Fesseln sehr stark eingeschränkt: EnEV, städtebauliche Verträge, Anforderungen an Barrierefreiheit, Emissionsschutz, Lärmschutz, Schneesicherheit… die Liste ist lang und führt vor allem dazu, dass die dringend benötigten Wohnungen in den großen Städten nicht gebaut werden. Einige der Regulierungen könnten ohne große Nachteile zumindest temporär ausgesetzt werden.

Dringend benötigt und gleichzeitig fast erdrückt: Das beschreibt die Situation des Wohnungsbaus in Deutschland ziemlich treffend. Auf 770.000 Wohnungen beziffert das Pestel-Institut aktuell den Bedarf an neuen Wohnungen. Besonders gravierend ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Städten. Das große Problem dabei: Aufgrund eines kaum überschaubaren Dickichts aus Vorschriften und Regulierungen ist eine Beschleunigung des Wohnungsbaus kurzfristig kaum möglich. Zu zahlreich sind die Vorschriften, die die Baumaßnahmen nicht nur verzögern, sondern auch verteuern. Zudem ist die Grundvoraussetzung – die Genehmigungsfähigkeit von Wohnraum – teilweise nur durch mehrjährige Planverfahren zu erreichen.

Die dann abzuarbeitende Liste an Regeln ist lang: So gibt es Anforderungen an den Brand- und Schallschutz, an die Energieeffizienz und die Barrierefreiheit, an die Bereitstellung von Stellplätzen, aber beispielsweise auch Vorgaben zur Schnee- und Sturmsicherheit. Hinzu kommen – je nach Ort, aber vor allem in den Großstädten – städtebauliche Verträge, die weitere, umfassende Maßnahmen festlegen, die ein Projektentwickler erfüllen muss.

Ein PKW-Stellplatz kostet bis zu 25.000 Euro
Ein Punkt, der ohne großen Aufwand flexibler gehandhabt werden könnte, sind die Vorgaben zu den PKW-Stellplätzen. Diese sind in Deutschland in der Regel durch die Bauordnungen der Bundesländer geregelt. Darin wird vorgeschrieben, wie viele Stellplätze ein Projektentwickler beim Neubau eines Wohngebäudes schaffen muss. Die Begründung: Die Kommunen können die Kosten für die Schaffung von PKW-Stellplätzen nicht tragen, denn Stellplätze sind teuer: Die Herstellungskosten können von 2.000 Euro pro Platz bei einem ebenerdigen Stellplatz bis hin zu 25.000 Euro bei einem Platz in einer Tiefgarage reichen.

Vor allem in den Ballungsräumen sollte eine Flexibilisierung erwogen werden. Diese Forderung ist durchaus angemessen, denn eine Studie der Universität Duisburg-Essen kam 2012 zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Zahl der PKW pro Einwohner geringer ist, je größer die Stadt ist. Dem Papier zufolge kommen in Metropolen mit mehr als einer Millionen Einwohnern auf 1.000 Menschen 322 private PKW. In Städten und Gemeinden mit weniger als 500.000 Einwohnern sind es dagegen 498 Fahrzeuge pro 1.000 Menschen. Berlin als größte deutsche Stadt hat folglich auch die geringste Autodichte unter allen Großstädten. Allerdings sind in diesem Punkt bereits positive Entwicklungen zu beobachten. So hat beispielsweise Hamburg im Jahr 2013 für Wohnungsneubau die Pflicht zur Errichtung von KFZ-Stellplätzen abgeschafft. Andere Länder bzw. Kommunen sollten erwägen, ob sie diesem Beispiel nicht folgen können.

EnEV ist einer der größten Kostentreiber im Wohnungsbau
Neben den Stellplatzvorgaben sollte auch dringend die Energiesparverordnung (EnEV) auf den Prüfstand, denn diese nimmt eine Sonderrolle bei den Kostentreibern im Wohnungsbau ein. Die EnEV wurde in den vergangenen Jahren mehrfach novelliert. Die nächste Neuauflage tritt am 1. Januar 2016 in Kraft. Allein diese jüngste Aktualisierung soll die Baukosten noch einmal um 7,3 Prozent erhöhen. Neben den hohen Kosten ist auch der Nutzen der Maßnahmen eher fraglich: Neubauobjekte sind mittlerweile so dicht isoliert, dass die Lüftung zu einem echten Problem wird. Neu errichtete Wohnungen sind mit einer Thermoskanne vergleichbar. Abhilfe schaffen paradoxe Maßnahmen: Man bohrt quasi die Außenhülle wieder auf und schafft Lüftungsöffnungen. In der Realität heißt das: In die so akribisch abgedichteten Fenster werden kleine Öffnungen eingebaut, um überhaupt eine vernünftige Durchlüftung des Wohnraums gewährleisten zu können. Alternativ können auch dezentrale oder zentrale Lüftungsanlagen eingebaut werden. Dies kann sicherlich nicht die Lösung der Zukunft darstellen. Hier ist vielmehr eine deutlich effizientere Nutzung der Primärenergie durch intelligente Vernetzung zu suchen.

Andere Hindernisse für den schnellen Bau von Wohnungen stammen von den Städten selbst – in Form so genannter städtebaulicher Verträge. Es handelt sich dabei um lokale Regelwerke, mit denen vor allem die Großstädte den Wohnungsbau ankurbeln und die Mieten in Schach halten wollen. Konkret wird darin in der Regel vorgeschrieben, dass für einen bestimmten Anteil der neuen Wohnungen eine bestimmte sozialverträgliche Angebotsmiete nicht überstiegen werden darf. Hinzu kommen weitere Auflagen wie beispielsweise die Finanzierung von Infrastruktur durch den Projektentwickler. Das Ergebnis ist allerdings oft anders als beabsichtigt, denn die Regularien erschweren und verteuern den Wohnungsbau auf verschiedene Weise. Auch bei den städtebaulichen Verträgen ist die Situation paradox. Denn gerade in den großen Städten, wo die Wohnungsknappheit am größten ist, wird am meisten reguliert.

Erschwerend kommt für Projektentwickler hinzu: In jeder Großstadt weichen die Vorgaben für den Wohnungsbau teilweise erheblich voneinander ab. Dies erschwert es den Bauunternehmen massiv, Einsparpotenziale durch Standardisierungen der Produkte und Prozesse zu erreichen.

Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Stadt München. Mit der „Sozialgerechten Bodennutzung“ (SoBoN) hat die bayerische Landeshauptstadt bereits 1994 ein Maßgabenkatalog auf den Weg gebracht, der Planungsbegünstigte an den Kosten und Lasten ihrer Bauvorhaben beteiligt. Sie ist Bestandteil sämtlicher Bebauungsplanverfahren und somit nicht nur für Wohnungsentwickler bindend.

Hamburg will Haushalte mit niedrigem und mit mittlerem Einkommen entlasten
Hamburg zog im Jahr 2011 mit dem „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“ nach. Die Vereinbarung zwischen Senat, Verbänden der Wohnungswirtschaft und SAGA GWG unter Beteiligung der Mietervereine beinhaltet konkrete Maßnahmen und Zielsetzungen für eine sozialverträgliche Weiterentwicklung des Hamburger Wohnungsmarktes. Das fixe Ziel: Jedes Jahr soll mit dem Bau von 6.000 Wohnungen begonnen werden. Davon sollen 2.000 geförderte Wohnungen sein. Dies bedeutet, dass es bei diesen Wohnungen eine oft sehr langlaufende Mietpreis- und Belegungsbindung gibt. Neu dabei ist, dass die Förderung auch noch ausgeweitet wird. Sie soll nicht mehr nur für Haushalte mit niedrigem, sondern auch teilweise mit mittlerem Einkommen gelten. Um die Wohnungsversorgung der Mittelschichthaushalte zu verbessern, ist deshalb ein weiteres gefördertes Neubausegment geplant. Dessen Mietniveau soll sich zwischen der Anfangsmiete für den öffentlich geförderten Wohnungsneubau (5,80 Euro/m²) und dem Neubau-Niveau des freien Marktes (ca. 11,00 Euro/m² bis 14,00 Euro/m²) bewegen. Ein Nebeneffekt dieser Maßnahmen ist offensichtlich: Der Handlungsspielraum des Projektentwicklers wird sehr stark eingeengt.

Die nordrheinwestfälische Landeshauptstadt Düsseldorf folgte 2013 mit dem „Handlungskonzept Wohnen“. Ziel ist auch hier, dass Wohnraum bezahlbar bleibt. Doch nach dem politischen Wechsel an der Stadtspitze im Jahr 2014 wird über den richtigen Weg dorthin noch debattiert. So sieht das Konzept bei Wohnbauprojekten bislang eine verpflichtende Quote von 20 Prozent für öffentlich geförderten Wohnraum und weitere 20 Prozent im „preisgedämpften“ Bereich mit Mieten bis zu 8,50 Euro pro Quadratmeter vor – also vergleichbar mit den Hamburger Vorschlägen. Diskutiert wird nun, ob der preisgedämpfte Teil abgeschafft und dafür die Quote für sozial geförderten Wohnraum auf 30 Prozent erhöht wird.

Berlin: Ein Viertel der Wohnungen muss zu einer Sozialmiete angeboten werden
Im Sommer 2015 sprang schließlich auch die Hauptstadt auf den Zug auf. Der Berliner Senat beschloss die so genannte „kooperative Baulandentwicklung“. Das Regelwerk legt dem Entwickler nicht nur die Kosten für die Infrastruktur wie Straßen oder Schulen auf. Darüber hinaus ist darin auch vorgeschrieben, dass ein Viertel der Wohnungen zu einer Sozialmiete von 6,50 Euro angeboten werden muss. Die dadurch entgangenen Einnahmen müssen über höhere Mieten oder Verkaufspreise der anderen Wohnungen aufgefangen werden.

Der Wohnungsmangel in den Metropolen ist gravierend und akut. Daher sollten alle Hemmschuhe für den Wohnungsbau – darunter insbesondere die Stellplatzvorgaben, die EnEV und auch die städtebaulichen Verträge – auf den Prüfstand. Doch auch die derzeit angewendeten Planverfahren zur Baurechtschaffung sollten überdacht werden. Aus unserer Sicht ist eine pragmatische – und zumindest temporäre – Aussetzung einiger Maßnahmen geboten.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von formart GmbH & Co. KG
Erstveröffentlichung: DIE IMMOBILIE, Januar 2016

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