05.06.2024

Quo Vadis USA?

Eindrücke von meiner Reise durch die Vereinigten Staaten

Thomas Guetle, Managing Partner, Primera Advisors GmbH
Thomas Guetle

Nachdem ich pandemiebedingt einige Jahre nicht mehr in den USA war, wollte ich mir wieder einen aktuellen Eindruck von den US-Immobilienmärkten verschaffen. Dazu gehörten, neben dem Besuch sehr unterschiedlicher Städte, auch zahlreiche Gespräche mit Immobilienexperten und Geschäftspartnern, die ich teilweise nur von Videokonferenzen kannte. Doch auch die Aussagen von Taxifahrern und den Menschen auf der Straße waren interessant für das Stimmungsbild.

Meine Tour begann aber zunächst in Kanada, einem der wichtigsten Handelspartner der USA (Kanada ist das wichtigste Zielland für US-Exporte und Nr. 3 bei den Importen!). Vom kalten Toronto führte mich meine Reise zunächst ins europäisch geprägte Boston sowie in den „melting pot“ New York. Anschließend ging es in den Südosten nach Atlanta, die Stadt mit dem größten Flughafen der Welt, und in die kalifornische Biotech-Metropole San Diego, bevor ich dann zurück nach Washington und per Zug zum letzten Meeting nach New York reiste.

Es mag komisch erscheinen, aber bei einer solchen Tour sollte man versuchen, die „deutsche Brille“ soweit wie möglich abzusetzen. Die Worte des ehemaligen Koordinators für transatlantische Zusammenarbeit im deutschen Auswärtigen Amt, der von einer „Vertrauensillusion“ in Bezug auf die USA sprach, erscheinen berechtigt:

„Wir denken, wir kennen Amerika, weil wir die amerikanische Alltags- und Konsumkultur kennen. Wir müssen uns aber eingestehen, dass wir Amerika eigentlich nicht kennen und erst verstehen müssen.“

Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt und haben den mit Abstand größten und liquidesten Immobilienmarkt. Für ein globales Immobilienportfolio gibt es gute Argumente, ca. ein Drittel in den USA zu investieren. Eine Allokation in dieser Größenordnung dürfte jedoch kaum ein institutioneller Anleger in der DACH-Region aufweisen. In Deutschland liegt der Nordamerikaanteil in institutionellen Immobilienportfolien, laut einer Umfrage von Universal Investment, bei gerade mal 5 Prozent.

Der US-Immobilienmarkt wurde durch die Zinserhöhungen der Fed – zwischen März 2022 und Juli 2023 um insgesamt 5 Prozentpunkte auf 5,25-5,50 Prozent – erheblich beeinflusst. Dadurch stiegen die 10-year-Treasuries im Oktober 2023 auf 5 Prozent an und liegen aktuell noch immer bei ca. 4,5 Prozent. Dies hat zu einem signifikanten Repricing im US-Immobilienmarkt geführt, und die Treasuries sind wieder ein starker Gegner der Immobilien geworden.

Im Unterschied zu anderen Nutzungsarten begann das Repricing im US-Einzelhandelssektor aber schon vor den Zinserhöhungen. Meine Gesprächspartner meinten, dass die Wertanpassungen inzwischen abgeschlossen seien und die Preise nur noch wenig Spielraum nach unten bieten dürften. Auf der gesamten Tour wurde mir immer wieder bestätigt, dass insbesondere der lebensmittelgeankerte Einzelhandel („grocery-anchored retail“) interessant sei. Dabei ist wichtig, auf die Qualität des „grocers“ zu achten. Obwohl US-Investoren in diesem Markt bereits stärker aktiv sind, herrscht bei europäischen Anlegern noch Zurückhaltung, vermutlich hat man noch die großen Schwierigkeiten der Shopping Malls vor Augen. In unserem Marktbericht, dem GREMO, hatten wir sowohl im letzten, als auch in diesem Jahr, das „grocery anchored“-Segment empfohlen.

Viel Diskussionsbedarf gab es natürlich in Bezug auf den Bürosektor, insbesondere vor dem Hintergrund der extrem hohen Leerstände und der begrenzten Rückkehr ins Büro. In Atlanta war beispielsweise die Rede von 35 Prozent Leerstandsquote. In Boston waren die von mir besuchten Büros wie leergefegt, es waren maximal eine Handvoll Mitarbeiter anwesend. In New York hatte ich ein intensives Gespräch darüber, wie es bei Büros weitergehen könnte. Meine Gesprächspartner waren sehr erfahrene Büroinvestoren, die teilweise seit über 30 Jahren im Markt aktiv sind. Bestätigt wurde, dass die Top-Gebäude mit Leerständen im Bereich von 8 Prozent weiterhin lukrativ vermietet werden können und daher unproblematisch sind. Das größte Problem wurde bei den B- und C-Gebäuden gesehen, einer der New Yorker Experten meinte sogar, diese seien wertlos. Eine Lösung, die schon mal in den 80-iger Jahren wohl erfolgreich praktiziert wurde, ist die Umnutzung in Wohnimmobilien. Damit sind natürlich viele Probleme verbunden, wobei die Flächennutzungsverordnungen („Zoning“) noch zu den einfacheren gehören dürften, während die Gebäudetiefe eine weitaus größere Herausforderung darstellt. Übrigens sind Konversionen in Kanada, insbesondere in zwei großen Städten, ein populärer, wenn auch hoch subventionierter Ansatz. Die größte Unruhe im Bürosektor dürfte aber noch vor uns liegen, wenn demnächst eine gewaltige Summe an Darlehen ausläuft. Da könnten auch einige Banken ins Wackeln kommen. Ein sehr erfahrener New Yorker „off market“-Investor meinte, es sei daher noch zu früh für Büroinvestments. Der richtige Einstiegszeitpunkt sei erst erreicht, „when the pain comes“. Interessant fand ich auch die Aussage eines Managers, wonach derzeit vor allem Family Offices im Markt sind und dabei teilweise gezielt nach Büros fragen.

Im Vorfeld wurde ich mehrfach um Einschätzungen zu San Francisco gebeten. Die Stadt und der Immobilienmarkt haben in letzter Zeit eher für negative Schlagzeilen gesorgt. Im Bürosektor hat man eine der höchsten Leerstandsquoten (ca. 33 Prozent) und Kriminalität, Drogenmissbrauch sowie die hohe Zahl obdachloser Menschen stellen die Stadt vor große Probleme. Bei meinen Gesprächen wurde immer wieder die Politik als Schuldige genannt: Zu hohe „transfer tax“, zu liberal (auch bei den Mieterrechten) und nicht wirtschaftsfreundlich genug. Für einige gilt Kalifornien deshalb als Negativbeispiel und wenn davon die Rede ist, eine Region „is becoming californised“, dann bewegt sie sich in eine ähnliche Richtung wie der „Golden State“.

Der hohe Leerstand in San Francisco hängt damit zusammen, dass gerade im dominierenden Tech-Sektor sehr viele im Homeoffice sind. Es gab aber auch positive Einschätzungen: Ein Manager eines Unternehmens mit Hauptsitz in San Francisco hat mir erzählt, dass sie aktuell die gemietete Fläche in der Stadt verdoppelt haben, allerdings haben sie diese zur halben Miete bekommen. Er ist überzeugt, dass San Francisco, ähnlich wie New York, wieder zurückkommen wird. In New York hat man den Mitarbeitern teilweise auch klar gemacht, dass sie ins Büro kommen müssen, wenn sie ein (hohes) New Yorker Gehalt möchten. Ein anderer Gesprächspartner hat argumentiert, dass San Francisco wegen der „brain power“ in der Region wieder auf die Füße kommen wird und dann zumindest Wohnungen gebraucht werden.

Ein weiteres Gesprächsthema war einer der beiden Lieblingssektoren der letzten Jahre: Wohnen, vor allem „Multifamily“, das liquideste Segment in den USA. Laut einem Unternehmen, das seit fast 40 Jahren ausschließlich im Wohnsektor unterwegs ist, sind die Preise um 20-30 Prozent zurückgegangen (die Bewertungen hinken hier noch etwas nach) und es gibt ein Überangebot, insbesondere in den südlichen Sunbelt-Märkten. Auch hier können auslaufende Darlehen Risiken und Chancen bieten. Mit dem „Oversupply“ hatte aber niemand mittelfristig größere Probleme, da aufgrund der geringen Baustarts ein direkter Übergang in einen „Undersupply“ erwartet wird. Letztes Jahr sind wohl fast 4 Millionen Menschen (legal und illegal; ich habe auch von deutlich höheren Zahlen gehört) in die USA eingewandert. Diese Menschen wollen arbeiten und brauchen irgendwann eine Wohnung. Nicht nur in diesem Kontext wird bezahlbarer Wohnraum („affordable housing“) immer wichtiger, ein Segment, in dem sich die Mieten auch an der Lohnentwicklung orientieren. Außerdem sind hier, aufgrund des Engpasses, gute Renditen erzielbar. Zwar wird auch in den USA die Mietregulierung zunehmend zum Thema – wenn auch nicht so rigide wie in Deutschland – was jedoch alle Gesprächsteilnehmer beunruhigt hat, war die Entwicklung der Versicherungsprämien, die sich teilweise versechsfacht haben. Insbesondere die Küstenregionen sind teuer und manchmal bekommt man auch gar keine Versicherung. Zudem können diese Kosten in der Regel nicht an die Mieter weitergegeben werden. Hinzu kommt, dass in diesem und auch im nächsten Jahr kein Mietwachstum erwartet wird. Der Wohnsektor bekam also im Laufe der Gespräche zwar einen gewissen Kratzer, aber fundamental hat sich aus meiner Sicht nichts geändert, so dass Multifamily weiterhin interessant bleibt. Die Meinungen zum Timing lagen ca. 6 Monate auseinander, aber Ende 2024, bzw. Anfang 2025 könnten gute Fondsjahrgänge werden.

Im Logistiksektor gibt es Parallelen zu Multifamily, da hier teilweise ebenfalls ein Überangebot herrscht, aber fundamental ist dieser Sektor intakt, auch unterstützt durch Reindustrialisierung sowie Near-, On- und Friendshoring. Mein „off market“-Gesprächspartner kauft derzeit für Cap Rates zwischen 6 und 6,5 Prozent ein.

Die anstehende(n) Zinsentscheidung(en) der Fed waren ein weiteres Thema. Man glaubt nur noch an eine einzelne Zinssenkung, und der Juni ist vermutlich zu früh, aber dann geht es ja auf die Wahlen zu. Die Fed soll nicht in die Politik eingreifen, was für einen Entscheid nach den Wahlen sprechen würde, aber sie kann mit der Preisentwicklung argumentieren, das Timing bleibt also offen.

Am Ende der Tour war ich noch in Washington, DC, und dabei haben mich insbesondere zwei nicht investierbare Gebäude interessiert, die für die US-Amerikaner von überragender Bedeutung sind: Das beindruckende Kapitol und das für europäische Vorstellungen klein geratene Weiße Haus. Die entscheidende Frage in Washington war natürlich, was am 9. November passieren wird. Muss Joe Biden dann die Koffer packen?
Seit dem berühmten Wahlkampf-Slogan der Clinton-Zeit, „It`s the economy, stupid!“, herrscht die Meinung vor, Wahlen würden durch die Wirtschaftslage entschieden. Nun geht es der US-Wirtschaft eigentlich relativ gut und die Arbeitslosigkeit ist niedrig, aber dass Biden wiedergewählt wird, scheint mir dennoch alles andere als klar zu sein. Eine einfache Frage, die sich viele Wähler stellen werden, dürfte sein, ob es ihnen heute besser geht als vor vier Jahren. Ich vermute, da werden einige vereinfacht zum Schluss kommen, dass es Ihnen unter Trump besser ging, vor allem aufgrund der damals niedrigen Inflation. Die USA sind teuer geworden, nicht nur beim Essen und Hotels, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann: Im Coffeeshop um die Ecke bezahlt man für einen einfachen Espresso aus dem Plastikbecher plus Standard-Croissant und übliches Trinkgeld schnell 10 Dollar. Essen gehen mit vierköpfiger Familie im „normalen“ Restaurant kostet locker 200 Dollar, und die Flugpreise bei Delta haben sich verdoppelt. Da kommt der Normalverdiener schnell an seine Grenzen. Auch habe ich immer wieder die Aussage gehört, die relativ gute Wirtschaftslage sei bei den Leuten bisher nicht wirklich angekommen.

Wo Trump definitiv die Nase vorn hat, ist in den sozialen Medien, da er es besser versteht, diese zu bespielen. Breite Übereinstimmung bestand darüber, dass ein negativer Ausgang der Gerichtsverfahren das Ende seiner Ambitionen auf eine erneute Präsidentschaft bedeuten würde. Auf Basis meiner (natürlich nicht repräsentativen) Umfragen von Boston bis zur Westküste und zurück lag Trump in Führung, wobei sich die Mehrheit der Befragten als Nicht-Trump-Anhänger ausgab und deutliche Worte zu ihm fand. Ein Taxifahrer hat aber dann eine interessante These aufgestellt, wonach die Biden-Anhänger vor einem Wahlsieg Trumps warnen würden, damit sich demokratische Wähler nicht zurücklehnen und Trump dann am Ende doch gewinnt.

Für Viele ist Leben und Arbeiten in den USA oft kein „easy going“. Die Schere zwischen arm und reich ist weiter auseinandergegangen. Die USA sind kein „Freizeitpark“ (10- 14 Urlaubstage) und ein Taxifahrer in New York beantwortete die Frage, „how‘s life“ treffend mit „it‘s a hustle“. Die Zahl der Obdachlosen hat deutlich zugenommen, auch in Städten, wo diese im bisherigen Straßenbild eher selten waren. Die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft ist ebenfalls größer geworden und definitiv ein Problem in den USA, eine Lösung ist derzeit noch nicht in Sicht.

Dennoch gehört der US-Immobilienmarkt meiner festen Überzeugung nach in ein regional diversifiziertes Portfolio. Wenn man nicht versucht, den Tiefpunkt des Marktes perfekt abzupassen, was in der Regel auch nicht klappt, dann ist jetzt eine gute Zeit, in die USA zu schauen. Vom Core- bis zum Value-add-Ansatz gibt es Opportunitäten, allerdings erwähnten amerikanische Marktteilnehmer immer wieder die Worte „cautious“ und „selective“. Wichtig ist daher auch die Wahl des Managers, der einen entsprechenden langjährigen Track Record und eine US-DNA haben sollte.

Es war eine anstrengende, aber spannende Reise mit vielen Eindrücken, die ich nicht alle in diesem Beitrag unterbringen kann. Ja, die Amerikaner ticken etwas anders als wir, und während bei uns die Risiken im Vordergrund stehen und das Glas meist halbleer ist, ist es in den USA – trotz der Probleme – doch meist halbvoll.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Primera Advisors GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juni 2024

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