Wo der Bedarf für zusätzliche Plätze am größten ist
Alle Welt spricht über die Wohnungsknappheit in den deutschen Ballungszentren. Mit steigendem Alter der deutschen Bevölkerung geht jedoch ein anderer, schleichender Prozess einher. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter von Jahr zu Jahr und so werden bis 2030 rund 180.000 neue Pflegeplätze und etwa 2.650 zusätzliche Pflegeheime benötigt. Doch wo ist der Bedarf am größten und welche Rahmenbedingungen bietet der deutsche Pflegeheimmarkt für Investoren?
Das Thema Pflege und bedarfsgerechte Strukturen im Pflegesystem stehen spätestens seit dem vergangenen Bundestagswahlkampf ganz oben auf der Agenda. Denn im Bedarfsfall ist die Pflege ein Grundbedürfnis und dazu gehört die Bereitstellung der notwendigen Pflegeleistungen. Doch bei den Pflegeeinrichtungen herrscht Knappheit. Im Gegenzug zum Wohnungsmarkt betrifft dies allerdings nicht nur Ballungszentren, sondern auch das Gros der ländlichen Regionen.
Zahl potentieller Pflegebedürftiger steigt
Die Abwanderung junger Menschen in die Großstädte und die geringe Geburtenrate der vergangenen 20 Jahre fordern ihren Tribut: Die deutsche Bevölkerung, besonders in den ländlichen Regionen, ist überaltert. Von 82 Millionen Deutschen sind 22,5 Millionen älter als 60 Jahre. Die Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen gehört zu den sogenannten Babyboomern, die mit 5,2 Millionen fast ein Viertel der älteren Bevölkerung ausmacht. Diese Altersgruppe tritt ab 2020 schrittweise in das Rentenalter ein. Darüber hinaus weisen die rund 9 Millionen Deutschen, die zwischen 75 und 90 Jahre alt sind, alleine aufgrund ihrer Altersgruppe, einen erhöhten Pflegebedarf auf.
Tatsächlich pflegebedürftig waren zum Jahreswechsel 2015/2016 in Deutschland rund 2,9 Millionen Menschen. Ein Großteil von ihnen, rund 46 Prozent, wird von Angehörigen gepflegt. Etwa ein Viertel der Pflegebedürftigen wird ambulant betreut und rund 30 Prozent in Pflegeheimen versorgt. Während die Bevölkerungszahl voraussichtlich bis zum Jahr 2035 weiter abnehmen wird, dürfte sich die Zahl Pflegebedürftiger hingegen im selben Zeitraum auf circa 3,8 Millionen Menschen erhöhen. Wüest Partner Deutschland prognostiziert, dass bis 2030 deutschlandweit dafür etwa 178.000 neue stationäre Pflegeplätze notwendig sind. Hierbei wurden auch potentielle zukünftige Veränderungen berücksichtigt, beispielsweise eine mögliche Verlagerung der stationären zur ambulanten Pflege. Nicht einberechnet ist der Ersatzbedarf für nicht mehr zeitgemäße Pflegeplätze in Mehrbettzimmern, Zimmern ohne eigenes Bad sowie der Wegfall von Plätzen durch restriktive Landesheimgesetze, wodurch die Zahl der fehlenden Plätze noch deutlich darüber liegen dürfte.
Wo der Bedarf am größten ist
Mit rund 3,5 Millionen Einwohnern ist es kaum verwunderlich, dass Berlin auch den höchsten absoluten Bedarf an neuen Pflegeplätzen aufweist. Bemerkenswert ist jedoch die Zahl: Bis 2030 benötigt die Hauptstadt rund ein Viertel bzw. etwa 9.200 neue Pflegeplätze oder rund 100 Heime, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Die Stadt Hamburg und die Region Hannover folgen zwar deutlich dahinter, haben aber in absoluten Zahlen ebenfalls einen hohen Nachholbedarf: Hamburg wird in den nächsten 15 Jahren etwa 3.300 zusätzliche Pflegeplätze und damit etwa 34 neue Heime bereitstellen müssen. Im gleichen Zeitraum werden im Landkreis Hannover etwa 2.800 zusätzliche Pflegeplätze benötigt. Dies entspricht etwa 36 weiteren Pflegeheimen.
Auch an München wird deutlich, dass der Anstieg Pflegebedürftiger nicht nur ländliche, sondern ebenso urbane Regionen betrifft. Denn in der Landeshauptstadt wird sich der Bedarf an Pflegeplätzen bis 2030 um rund 23 Prozent erhöhen. Damit benötigt die Stadt an der Isar innerhalb von 15 Jahren etwa 20 neue Pflegeheime. So auch der Rhein-Sieg-Kreis. Dem bevölkerungsmäßig drittgrößten Landkreis Deutschlands wird ein zusätzlicher Bedarf von rund 1.750 Pflegeplätzen bzw. rund 20 neuen Heimen prognostiziert.
Wenn auch die absoluten Zahlen in den Großstädten am größten sind, so weisen die Landkreise prozentual gesehen den höchsten Bedarf an weiteren Pflegeplätzen auf. Der höchste künftige Zusatzbedarf wird dem Kreis Landsberg am Lech mit einem Anstieg von 40 Prozent prognostiziert. Aber auch die Kreise Dachau, Erding und Freising bei München sowie der Landkreis München selbst, müssen die Zahl der Pflegeplätze bis 2030 um 35 Prozent aufstocken.
Trotz des steigenden Bedarfs gibt es einen Trend zu kleineren Heimen. 2015 stellten die 13.596 deutschen Pflegeheime insgesamt 928.939 Pflegeplätze bereit. Damit beträgt die durchschnittliche Heimgröße 68 Pflegeplätze. 2005 lag diese Zahl noch bei 73 Pflegeplätzen. Einen Grund für den Trend zu kleineren Heimen bilden unter anderem die Landesheimgesetze, welche auf Landesebene festschreiben, wie ein Pflege- bzw. Seniorenheim zu bauen und auszustatten ist. Diese auf Länderebene unterschiedlichen Gesetze stellen für Investoren die größte Herausforderung dar. Das Land Nordrhein-Westfalen schreibt beispielsweise seit August 2018 gesetzlich vor, dass ein Pflegeheim eine Einzelzimmerquote von 80 Prozent erfüllen muss und nicht mehr als 80 Plätze bereitstellen darf.
Transaktionsvolumen legt um 20 Prozent zu
Als Betreiberimmobilien werden Pflegeheime in der Regel von einem Betreiber geführt und im eigenen Namen bewirtschaftet. In Deutschland sind es 53 Prozent freigemeinnützige Träger, 42 Prozent private und 5 Prozent öffentliche Träger. In den vergangenen Jahren haben eine zunehmende Internationalisierung der Betreiber und damit eine weitere Professionalisierung des deutschen Pflegeheimmarktes stattgefunden. Im Jahr 2017 waren internationale Investoren an 64 Prozent des gesamten Transaktionsvolumens beteiligt. Insgesamt wurden 2017 laut CBRE rund eine Milliarde Euro investiert. Seit 2008 steigerte sich das Transaktionsvolumen jährlich um durchschnittlich 20 Prozent. Aufgrund der starken Nachfragen hat auch diese Assetklasse sinkende Renditen zu verzeichnen. Zum Jahresende 2017 betrug laut CBRE die Nettoanfangsrendite für erstklassige Pflegeheime 5,0 Prozent, im Vorjahr lag diese noch bei 5,5 Prozent.
Der demografische Wandel wirkt sich schon heute und in Zukunft noch viel stärker auf alle Bereiche unserer Gesellschaft aus. Das Gesundheitssystem, der Wohnungs- und Arbeitsmarkt berücksichtigen die Auswirkungen bereits, wenn auch zum Teil nur in Ansätzen. Der Pflegemarkt allerdings blockiert sich noch selbst.
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Erstveröffentlichung: Expo-Beilage der F.A.Z., Oktober 2018