Software als notwendiger Helfer für ESG-Dokumentation
Die im März 2021 in Kraft getretene EU-Offenlegungsverordnung ist der erste Schritt des europäischen Gesetzgebers zur Implementierung nachhaltiger Geschäftspraktiken. Sie gilt für alle Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater. Über den Finanzmarkt, aber auch über den hohen CO2-Ausstoß durch Gebäude ist die Immobilienwirtschaft besonders betroffen. Schon jetzt müssen Immobilieninvestoren und -eigentümer Konzepte für ein ESG-konformes Portfolio entwickeln. An digitalen Lösungen führt hierbei kein Weg vorbei.
Bis vor wenigen Jahren war das Buchstabenkürzel ESG in der Immobilienwirtschaft kaum präsent. Zwar gab es Nachhaltigkeitsberichte, aber sie dienten allen voran einer höheren Reputation und somit einem leichteren Zugang zu talentierten Nachwuchskräften. Dies hat sich mit dem Pariser Klimaabkommen von Ende 2015 und dem damit einhergehenden politischen Prozess schlagartig verändert. Nun drängt der Druck des europäischen Gesetzgebers zu nachhaltigen Geschäftsmodellen. Denn der im Dezember 2019 von der EU-Kommission vorgelegte „Green Deal“ strebt bis 2030 eine CO2-Reduktion von 55 Prozent im Vergleich zu 1990 und einen Anteil erneuerbarer Energien von 33 Prozent an. Damit verbunden ist ein umfassendes, jeweils branchenspezifisches Regelwerk, das unter dem Sammelbegriff „Taxonomie“ sechs Kategorien für nachhaltige Geschäftstätigkeiten definiert.
Die erste in Kraft getretene Regelung ist die Offenlegungsverordnung, die seit März 2021 gesetzlich verbindlich ist. Sie sieht vor, dass Finanzmarktakteure offenlegen, inwieweit sie bei Investitionsentscheidungen mögliche Nachhaltigkeitsrisiken und nachhaltige Anlageziele beachten. Institutionelle Investoren reagieren: 67 Prozent aller neu aufgelegten ESG-Fonds in allen Assetklassen stammen aus Europa, steigende Mittelzuflüsse wurden ebenfalls registriert. Einer Umfrage von Aberdeen Investments von Mai 2021 zufolge wenden 81 Prozent der befragten europäischen Versicherer ESG-Kriterien sowohl auf direkte als auch auf indirekte Anlagen an. Über ein Drittel der Versicherungen hat ESG-Kriterien bereits als festen Bestandteil von Investment-Ausschreibungen etabliert.
Die Immobilie ist allerdings nicht nur Anlageprodukt, sondern auch zentrales Objekt der Treibhausgas-Reduktion. Für den deutschen Gebäudesektor hat die Bundesregierung ab 2030 die Zielvorgabe von höchstens 70 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr definiert. Gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 möchte der Gesetzgeber hierzulande eine Reduktion von 67 Prozent erreichen. Für 2020 war bereits ein Rückgang von 40 Prozent gegenüber 1990 vorgesehen. Dieses Ziel erreichte zwar die deutsche Wirtschaft, doch war diese Leistung im Wesentlichen auf die Stillstandphase des Corona-Lockdowns zurückzuführen. Die Gebäudewirtschaft war zudem die einzige Branche, die das Reduktionsziel verfehlte. Ohnehin steht die Immobilienwirtschaft unter besonderer Beobachtung, da sie weltweit 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes verantwortet.
Aus den politischen Vorgaben ergibt sich ein Handlungsdruck für die Immobilienbranche. In erster Linie gilt es, Transparenz in der Umweltverträglichkeit des jeweiligen Bestandsportfolios sicherzustellen. Die EU hat daher im Juni 2021 im Rahmen eines delegierten Rechtsakts technische Regulierungsstandards präsentiert, die zu Beginn des Jahres 2022 in Kraft treten werden. Hierzu zählen zum Beispiel der Primärenergiebedarf bei Neubauten ab 2021, der zehn Prozent unter den Anforderungen des Niedrigenergiehauses-Standards liegen muss, oder das Einsparungsziel von mindestens 30 Prozent Energiebedarf bei Sanierungen. Darüber hinaus sind feste Kriterien für die Komponenten der sozialen Nachhaltigkeit und der guten Unternehmensführung, deren statistische Erfassung naturbedingt komplizierter ausfällt, in der Planung.
Immobilieninvestoren und -eigentümer reagieren bereits mit der systematischen Erfassung von Verbrauchsdaten im Gebäude. Bezüglich Erfassungsmethodik und Zielwerten können sie sich an den Vorgaben der Nachhaltigkeitslabels wie der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) oder den internationalen Zertifizierungen BREEAM und LEED orientieren. Dem Mieter fällt hierbei eine zentrale Rolle zu. Er ist gesetzlich jedoch nicht dazu verpflichtet, seine Verbrauchsdaten zu veröffentlichen. Vertragsmodelle, die ein umweltschonendes Mieterverhalten belohnen (Green Leases), oder Apps, die über Gamification zu einer nachhaltigen Immobiliennutzung anspornen, können als Anreize für eine möglichst umfassende Verbrauchstransparenz der Mieter dienen.
Verbrauchstransparenz über digital vorliegende Daten bezieht sich nicht nur auf den Energieverbrauch in einer Immobilie. Die im Fokus stehende Reduzierung des CO2-Ausstoßes impliziert auch die Flächeneffizienz im Hinblick auf die zeitliche und räumliche Nutzungsintensität. Abfallmengen und ihre Entsorgung, die Modernität der Haustechnik oder auch die Begrünung von Fassaden und Räumen spielen ebenso eine Rolle. Aus diesen Anforderungen heraus ist es naheliegend, auf IoT-Technik (Internet of Things) zurückzugreifen, die die Immobiliendaten in Echtzeit erfassen kann.
Der Datenerfassung und –aufbereitung für die weitere Verwendung kommt eine zentrale Bedeutung zu. Neue Softwareanbieter, die sich speziell auf das Thema ESG ausgerichtet haben, bieten bereits Lösungen an. Die im April 2021 erschienene ESG-Studie des Venture-Capital-Investors PropTech1 nennt über 40 PropTechs, die sich im deutschen Markt auf ESG-Anforderungen vor und während des Baus sowie in der Betriebsphase spezialisiert haben. Die Frage ist, ob diese Anbieter dazu fähig sind, Skalierungseffekte durch Integration über Plattformen zu erzielen.
Denn die Datensammlung aus der Immobilie heraus ist erst dann sinnvoll, wenn die von den unterschiedlichen Parteien aggregierten Daten innerhalb einer Plattformlösung gesammelt und kategorisiert vorliegen. Alle im ESG-Management relevanten Daten müssen folglich intelligent mit den bereits digital im Unternehmen vorhandenen Informationen zu Portfolios, Gebäuden, Flächen- und Flächenarten sowie Buchhaltungsdaten in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus ist ihre Verknüpfung mit der Maßnahmenplanung (CAPEX/OPEX) und –wirkung geboten. Hierbei ist Software mit guter Schnittstellenkompatibilität im Vorteil. In diesem Zusammenhang bieten sich digitale Ökosysteme an, die sich darauf spezialisiert haben, unterschiedliche Software-Lösungen aus verschiedenen Wertschöpfungsbereichen auf einer Plattform zusammenzuführen. Denn durch die ESG-Verordnungen steigen die Anforderungen an den Datenfluss zwischen den Projektparteien in hohem Maße. Dies gilt insbesondere für das Zusammenspiel zwischen Property- und Asset-Management.
Auch wenn der Gesetzgeber sich selbst bis Anfang 2023 Zeit gibt, um geeignete Dokumentationsmethoden für das ESG-Management der Marktteilnehmer zu justieren, müssen jetzt schon die entsprechenden Weichen zur Datenerfassung gestellt werden. Hierbei gilt es auch, nationale Unterschiede zu berücksichtigen. Einige nationale Gesetzgeber übertrumpfen sich in der ihnen überlassenen konkreten Ausgestaltung der europäischen Rahmenvorgabe. Die Niederlande setzen Vermietungshürden für nicht-zertifizierte Gebäude, in Frankreich müssen alle öffentlichen Neubauten Plusenergiehäuser sein.
Asset Manager und Immobilieneigentümer nutzen idealerweise jetzt bereits ein Scoring-System für die Objekte in ihrem Portfolio, das den aktuellen Nachhaltigkeitswert jeder einzelnen Immobilie bemisst. Daraus ergibt sich eine Prioritätenliste innerhalb der vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen im Bestand zur Vermeidung des so genannten „stranded Asset“. Sinnvoll ist darüber hinaus eine Investorendokumentation, die sich mindestens an die EU-Kriterien anpasst und auch, wenn möglich, bereits Faktoren für soziale Nachhaltigkeit und gute Unternehmensführung beinhaltet. Hierzu können beispielsweise die Kriterien Barrierefreiheit, Beleuchtung oder Mieterpartizipation zählen. Doch in jedem Fall bedarf es digitaler Lösungen, um eine möglichst umfassende Datentransparenz zu erreichen.
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Erstveröffentlichung: Immobilien & Finanzierung, November 2021