25.08.2020

Mobilität verwandelt Immobilien

Verkehrslösungen beeinflussen Stadtentwicklung und Gebäude

Prof. Dr. Marion Peyinghaus, Geschäftsführerin, Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE)
Prof. Dr.-Ing. Regina Zeitner, Leitung, Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE)
Prof. Dr. Marion Peyinghaus

Wertveränderungen bei Büros, neue Gebäudestrukturen bei Shoppingcentern, gute Anbindung von Wohnobjekten: Verkehrslösungen beeinflussen Stadtentwicklung und Gebäude.

Elektromobilität, Lufttaxis, Hyperloops – Mobilität wird neu gedacht. Innovative Mobilitätsarten und -muster entstehen, sie vernetzen Menschen und transportieren Güter. Start und Ziel dieser Mobilitätsströme sind in der Regel Immobilien: Gebäude, in denen Menschen wohnen, die ihren Weg zum Büro antreten, oder Hallen, in denen Güter produziert werden, die zum Verkauf in Warenhäuser befördert werden. Verändern sich die Mobilitätsströme, liegt es nahe, dass dies auch Einfluss auf die Immobilien hat. Das Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE) hat in einer quantitativen Marktstudie untersucht, wie dieser Einfluss aussieht, welchen Umfang diese Transformation erreicht und wie die Immobilienwirtschaft darauf reagieren sollte. Um auch die Bedürfnisse zukünftiger Arbeitnehmer aufzunehmen, wurde die Umfrage von 194 Studierenden immobilienwirtschaftlicher Fachrichtungen sowie von 141 Vertretern der Immobilienwirtschaft beantwortet.

Die globale Relevanz dieser Fragestellung wurde zudem durch den Austausch mit Wissenschaftlern und Immobilienexperten in China und Singapur bekräftigt: Mobilität ist eine der maßgeblichen Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft.

Die zentralen Ergebnisse der Marktstudie lassen sich in zehn Punkten zusammenfassen:
1.    Der Pkw bleibt weiterhin wichtig.
Auch wenn nach Einschätzung der Immobilienwirtschaft die Bedeutung des privaten Pkws zukünftig in den Hintergrund tritt, ist für die jüngere Generation trotz Klimawandels und Fridays for Future das eigene Auto das präferierte Verkehrsmittel. Mit einer deutlichen Favorisierung von 65 Prozent ziehen die Studierenden den privaten Pkw gegenüber anderen Verkehrsmitteln vor. Das Votum der Wirtschaftsvertreter für den Pkw fällt hingegen geringer aus und liegt nur bei 54 Prozent – und damit hinter den Verkehrsmittelarten ÖPNV (67 Prozent), öffentlicher Fernverkehr (65 Prozent) und Fahrrad (58 Prozent). Wie erklärt sich diese Differenz? Für die Jugend erfüllt der Pkw die Träume von persönlicher Freiheit. Auch Sharing-Konzepte sind keine befriedigende Lösung. Die Generation Z strebt nach Stabilität und Sicherheit, und der private Besitz erscheint als ein Mittel, beides zu gewährleisten.

2.    Die Mobilitätskosten steigen, und die Frage ist:
Wer trägt sie? Aus Sicht der Studierenden sollte dies primär der Arbeitgeber sein. Die Anfahrt zum Job soll künftig als Arbeitszeit vergütet werden (Zustimmung der Generation Z: 64 Prozent, ein Plus von 35 Prozentpunkten gegenüber der Wirtschaft). Setzt sich diese Anforderung durch, müssen Standortfragen und Homeoffice-Lösungen neu bewertet werden. Lösungsansätze müssen dabei von allen Parteien unterstützt werden, betont Sven Lemiss, Geschäftsführer BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH: „Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwarten gleichermaßen Flexibilität und Agilität. Dafür die geeigneten Flächen zur Verfügung zu stellen, ist künftig kein ‚Add-on‘ mehr sondern ein ‚Must-have‘. Das betrifft sowohl deren Verteilung im erweiterten Stadtraum als auch die Flächenkonzepte selbst.“

3.    Ansturm auf die Ballungsgebiete
Er war in den vergangenen Jahren ungebrochen, und die Vertreter der Wirtschaft gehen von einem weiterhin starken Zuwachs in den Top-Sieben-Städten aus. Doch diese Sogwirkung deckt sich nicht mit den Wünschen der Generation Z. Die Faszination der Top Sieben lässt nach (minus 16 Prozent). Die Provinz gewinnt an Attraktivität (plus zwei Prozent). Auch Studierende der Tongji University in Shanghai signalisierten in einem Interview: „I want to go back to my hometown“. Der Wunsch nach Stabilität, Geborgenheit und einer Familiengründung ist hoch und bei den innerstädtischen Wohnungspreisen kaum zu realisieren. Aus dieser neuen Präferenz resultieren jedoch Risiken für die Immobilienwirtschaft: Die Nachfrage in den Städten wird überschätzt – Lösungen im ländlichen Raum fehlen.

4.    Mobilität entsteht zwischen Immobilien.
Wenn sich die Verkehrsströme neu gestalten, wirkt sich das auf die Gebäude aus. Aufgrund des Wandels in der Mobilität wird eine drastische Veränderung der Attraktivität einzelner Objekte oder Lagen erwartet (Zustimmung 67 Prozent). Leider nicht nur zum Positiven: Die Experten gehen auch von einem Anstieg des Leerstands aus (57 Prozent). Standorte und Lageklassen müssen neu bewertet werden. Um genau diese Zusammenhänge zu untersuchen, hat das Future Cities Laboratory, Singapore ETH Centre, ein Simulationsmodell entwickelt. Das Tool MATSim ermöglicht, Szenarien für Mobilitätsströme zu bilden, die Erreichbarkeit eines Standortes zu messen und somit die Attraktivität von Immobilien als auch zukünftigen Projekt- und Stadtentwicklungen zu bestimmen.

5.    Mieter fragen zunehmend flexible und skalierbare Flächenmodelle nach.
Dies tun sie insbesondere für Büroflächen (Zustimmung 83 Prozent). Neben dieser Flexibilitätssteigerung verändern sich auch ganze Asset-Klassen. Neue Objekttypen oder die Mischung unterschiedlicher Nutzungsarten wird erwartet (63 Prozent). Diese Multi-Use-Komplexe sind insbesondere in China ein klarer Trend. „Most of the project developments in Shanghai follow a mixed-use approach“, konstatiert Professor Jiming Cao von der Tongji University. Darüber hinaus steigt die Relevanz von dezentralen Standortkonzepten (plus 58 Prozent). Erste Beispiele finden sich auch hier in Asien. Mit der Absicht, Arbeiten und Wohnen enger zu verbinden sind in Shanghai, Hongkong oder Singapur neue urbane Zentren außerhalb des klassischen CBD entstanden.

6.    Die Mobilität verändert die Immobilien.
Doch bei jeder Nutzungsart findet dies auf eine andere Weise statt. Bürogebäude reagieren besonders sensibel auf Wertveränderungen (Zustimmung 85 Prozent), Shoppingcenter erfahren Anpassungen in der Gebäudestruktur (74 Prozent), Healthcare-Angebote fragen nach mobilen Lösungen (56 Prozent), Hotels erhalten Chancen für Zusatzservices (68 Prozent), und für den Wohnungsbau ist die ÖV-Anbindung von besonderer Relevanz (80 Prozent). Nur die Nutzungsart Logistik zeigt sich erstaunlicherweise weitgehend resistent gegenüber Mobilitätsveränderungen. Im Durchschnitt liegt die Zustimmung der Experten zu Veränderungen aufgrund neuer Mobilitätsmuster nur bei einem Wert von 54 Prozent.

7.    Kosten werden durch Mobilitätsveränderungen steigen.
Die Erlöse tun dies allerdings auch. Einen Mehraufwand befürchten die Teilnehmenden insbesondere bei den IT-Kosten (plus 44 Prozent) sowie den Bau- und Betriebskosten (plus 35 Prozent). Chancen für Erlöse ergeben sich im Leistungsportfolio (plus 30 Prozent), beispielsweise mittels CO2-Reporting, und durch neue Immobilienprodukte (plus 18 Prozent). Dazu zählen neue Asset-Klassen, eine Kombination aus bestehenden Nutzungsarten oder auch neue Finanz-produkte. Diese Gewinnerwartungen locken auch branchenfremde Anbieter. So positioniert sich der Fahrzeughersteller Toyota mit mobilen Büroflächen oder selbstfahrenden Shops.

8.    Der Mobilitätswandel bietet Chancen zur Leistungserweiterung.
Dies erhöht die Komplexität im klassischen Leistungsportfolio. Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich für die Leistungsbereiche Reporting (Zustimmung 67 Prozent), strategische Objektsteuerung (66 Prozent) und Wertermittlung (65 Prozent). Gerade für die Bewertung wird unmittelbarer Handlungsbedarf erkennbar: Bewertungsmodelle müssen justiert und durch Mobilitätsdaten ergänzt werden. „Die Erreichbarkeit unserer Immobilien ist zentral und wertrelevant. Daher gehören Mobilitätskonzepte zum Standard-Repertoire eines jeden Asset-Managers“, bestätigt Volker Herrmann, Leiter Portfolio Asset Management von Hamburg Port Authority.

9.    Der Immobilienmarkt verändert sich und die Unternehmen reagieren darauf.
Doch wie wird man zum Mobilitätsexperten? Durch die Analyse der Aussagen der knapp 150 Immobilienexperten kristallisiert sich ein Transformationsprozess heraus, der Aktivitäten in den Bereichen Analyse, Strategie und Implementierung erfordert. Diese Aktivitäten sind nicht zwingend allein zu bewerkstelligen. Kooperationen erweisen sich als besonders erfolgreich. Die Zusammenarbeit mit Mobilitätsanbietern und Digitalexperten führt zu Synergien, erschließt wertvolle Kompetenzen und ermöglicht neue, innovative Produkte. So arbeitet in Shenzhen der Tech-Gigant Baidu bereits intensiv mit den örtlichen Transportunternehmen zusammen und hat selbstfahrende Elektro-Busse bis zur Serienreife gebracht. Die chinesische Metropole gilt ohnehin als Vorreiterin der Elektromobilität. Trotz dicht befahrener Straßen ist Vogelgezwitscher zu hören. Ruhe und Luftreinheit sind ein klarer Standortfaktor und damit auch entscheidend für die Immobilienwirtschaft. Es ist für Immobilienakteure daher höchste Zeit, diese Kooperationsmodelle aufzunehmen.

10.    Zahlen, Daten, Fakten sind zur Bewertung der Mobilitätsveränderungen erforderlich.
Ebenso nötig sind Systeme, die diese Informationen automatisiert verarbeiten können. Unternehmen investieren daher zukünftig stärker in Mobilitätsdaten, insbesondere in Informationen zur Breitbandnetzdichte. Die testierte Investitionsbereitschaft für diese Datensätze liegt bei knapp über 10.000 Euro pro Jahr und Unternehmen.
Leistungsfähige Breitbandnetze sind ein wichtiger Standortfaktor für Unternehmen und damit auch eine essenzielle Voraussetzung zur Gewinnung von Mietern. Immobilienexperten aus Hongkong bestätigen: „The internet connection within the building is the most decisive criterion for renting office space in Asia“.

Erstveröffentlichung: Immobilien Manager. Weitere Informationen unter https://www.baufachmedien.de/immobilienmanager-mini-abo.html

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE)
Erstveröffentlichung: Immobilienmanager, Heft 5 2020

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