Urbaner Trend aus wirtschaftlicher Notwendigkeit?
Städteverdichtung bei steigenden Mieten und Bodenpreisen stellt in Europa eine Herausforderung dar. Eine Antwort darauf sind Mini- oder Mikrohäuser. Sie bieten ein Zuhause auf kleinstem Raum, vorausgesetzt die Bewohner lassen sich auf eine ganz neue Wohn- und Lebensweise ein. Ist dies eine ideale Lösung für die mobile Generation und die Städteplaner?
Der Megatrend Urbanisierung hat in Europas Stadtregionen unterschiedliche Ausprägungen, abhängig von nationalen Baugesetzgebungen, Städtebildern und präferierten Wohnformen. Allen Regionen gemeinsam ist die Forderung nach lebendigenStädten mit bezahlbarem Wohnraum und kompakten Strukturen. In diesem Zusammenhang wird in der Immobilienwirtschaft zurzeit der Begriff des Mikrowohnens intensiv diskutiert und entsprechende Konzepte werden präsentiert. Je nach Zielgruppe wird diese Wohnform wahlweise auch als Singlehaus, Nomadhome, Minihaus, Mikrohaus oder Kleinhaus bezeichnet.Manch ein Mikrohaus hat den unschätzbaren Vorteil, dass es klein genug ist, um von einem Ort zum anderen transportiert werden zu können – dies ist eine ideale Lösung fürmoderne Nomaden. Ökologisch-ökonomischer Grundgedanke des Mikrohauses ist ein kleiner „Fußabdruck“, also eine gute CO₂-Bilanz durch ökologische Baustoffe, geringen Energiebedarf und eine kleinere verbaute Fläche. Auch finanziell erweist sich Letzteres beim Bau als Vorteil: „Höher“ ist in der Regel kostengünstiger als „breiter“.
Unsere Gesellschaft verändert sich und damit verändern sich auch unsere Wohnbedürfnisse. Trotz der kompakten Bauweisein den Städten Europas besteht nur punktuell Erfahrung in Bezug auf das Thema Verdichtung. Nicht umsonst gelten Japan bzw. Teile Asiens als Inkubator der Entwicklung des Wohnens auf engstem Raum. Unabhängig von der jeweiligen Präferenz erfordert dieser Wohntypus von Europäern vor allem eines: die Anpassung an einen neuen Lebensstil.
Um in einem Mikrohaus „überleben“ zu können, muss man seinen gewohnten Lebensstil auf die geänderten Bedingungen anpassen, d.h. sich reduzieren und eine gewisse Affinität zum Minimalismus entwickeln. Nicht zuletzt deshalb zielt dieser Lebensstil primär auf eine jüngere, flexible und vorwiegend mobile Generation – die sog. 25-Stunden-Gesellschaft, deren Motto lautet: „Ständig in Bewegung sein“. Sie verbringt die meiste Zeit außer Haus, die Stadt ist ihr Wohnzimmer. Urbane Plätze verwandeln sich in Gemeinschaftswohnanlagen. Wohngemeinschaften und soziale Aspekte spielen eine große Rolle. Ist dies der Anfang eines bedeutenden demografischen Wandels?
Der „Sharing“-Gedanke stammt aus den USA. Viele junge Amerikaner teilen ihre Wohnung, ihr Ferienhaus oder das Auto mit Fremden. Diese Sharing-Kultur verlagert sich auch immer mehr nach Europa (Airbnb, blablacar etc.). Hieraus ergeben sich zwei neue gesellschaftliche Trends: Der eine wird als „Collaborative Living“, also „gemeinschaftliches Leben“ beziehungsweise „Leben in Kooperation“ bezeichnet. Der andere heißt „Conceptual Living“.
Collaborative Living: Der Grundgedanke beim Collaborative Living ist, dass wir in Zukunft nicht mehr in voll ausgestatteten Wohnungen leben werden. Die Ausstattung beschränkt sich auf das Nötigste, alles andere wird ausgelagert: die Waschmaschine, die Küche oder die Arbeitsfläche. Die Kneipe wird zum Wohnzimmer, der Park oder das Café zum Arbeitsplatz.
Conceptual Living: Wohnräume werden flexibler und passen sich der aktuellen Lebenssituation an. Die digitale Kultur des Austauschens, Aneignens und Anpassens wird in den realen Raum und zunehmend auf die Immobilienwirtschaft übertragen. Die eigene Wohnung wird nicht mehr in Quadratmetern bemessen, sondern erstreckt sich auf die Fläche im Viertel. Trotz Beschränkung auf das Nötigste will man keinen Qualitätsverlust erleiden.
Von den USA ausgehend ist die Tiny House-Bewegung in Europa angekommen. Gleichwohl ist die Spannbreite baurechtlicher Genehmigungen in Europa sehr heterogen. Während Mikrohäuser in Österreich schon baurechtlich erlaubt sind, werden sie in Deutschland meist auf Anhänger gebaut. So brauchen sie, rechtlich gesehen, nur einen Stellplatz und man umgeht Ärger mit der Baubehörde. Viele dieser Mikrohäuser sind ohne festes Fundament gebaut, manche sogar auf Räder gestellt, um einen Standortwechsel unproblematisch und schnell zu realisieren.
Mikrohäuser sind für kreative Bauplaner eine Herausforderung: Nicht nur die Bauweise, auch die Ausstattung macht den Unterschied. Die möglichen Varianten reichen von ganz einfach biskomfortabel. Die Energieversorgung gestaltet sich bei einem Mikrohaus ökologisch sinnvoll. Die Dämmeigenschaften der kompakten Bauweise sind in der Regel so gut, dass die benötigte Energie autark erzeugt werden kann: Eine durchdachte Kombination aus Solarthermie, Wärmepumpen-Technologie und Lüftungsanlagen macht den Hauseigentümer unabhängig von fossilen Brennstoffen. Die am häufigsten verwendeteten Bauweisen bei Mikrohäusern sind der massive Holzbau bzw. Holzständerbau, gefolgt vom massiven Steinbau. Vor allem in Schweden sind Mikrohäuser aus massivem Holzbau vorzufinden, mit Fokus auf Nachhaltigkeit (Energie- und Platzeinsparungen). Diese Mikrohäuser sind nur 10 m² groß (inkl. Schlafbereich, Küche, Bad und Mini-Terrasse) und sind in erster Linie für Studenten gedacht.
Die günstigsten Mikrohäuser gibt es voll ausgestattet bereits zu einem Preis ab ca. 15.000 €. Die Mikrohaus-Energiekosten halten sich aufgrund der geringen Größe im Rahmen einer kleinen Mietwohnung.
Mikrohäuser stellen ein interessantes Konzept sowohl hinsichtlich der aktuellen europäischen Stadtplanung als auch gesellschaftlich dar. Sie bieten Freiraum, indem der Bewohner sich auf die Dinge beschränkt, die er zum Leben braucht. Eine Marktrelevanz weisen Mikrohäuser aktuell aber noch nicht auf.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Dr. Thomas Beyerle
Erstveröffentlichung: CATELLA MARKET TRACKER FEBRUAR 2016