02.06.2023

Mieterschutzgesetz der Weimarer Republik

Warum die Rezepte von damals nicht für heute geeignet sind

Dr. Paul Kowitz, Partner, KPC KOWITZ Policy Consultants
Prof. Dr. Martin Dombrowski, Partner, KPC KOWITZ Policy Consultants
Dr. Paul Kowitz

Am 1. Juni 1923, also vor ziemlich genau 100 Jahren, wurde das erste Mieterschutzgesetz in Deutschland verabschiedet. In seiner Ausprägung hätte es kaum radikaler sein können: Die Weimarer Republik hatte auf die Folgen des Weltkrieges zu reagieren. Wohnraum war Mangelware und die Mieten unbezahlbar hoch. Eingeführt wurde eine öffentliche Wohnraumbewirtschaftung, ein Mietenstopp und das Paradigma, dass nur gemeinwohlorientierte Unternehmen eine Neubautätigkeit aufnehmen durften. Dies sind Rezepte der heutigen politischen Linken in Deutschland, die das erste Mieterschutzgesetz entsprechend lautstark feiern und die Renaissance der staatlichen Hoheit propagieren. Doch was ist dran am Gesetz von damals? Sind die Rezepte von 1923 tatsächlich geeignet für die Herausforderungen ein Jahrhundert später? Zweifel sind angebracht.

Wohnungssituation in der Weimarer Republik

Es beginnt schon damit, dass die Ausgangssituation 1923 eine andere ist als 2023. Deutschland hatte fünf Jahre zuvor bekanntlich einen Weltkrieg verloren, Infrastruktur war zerstört, die Inflation hoch, die Volkswirtschaft im Aufbau begriffen. Wohnungsnot hatte es zuvor auch schon im Kaiserreich gegeben. Notwohnungen und (Berliner) Mietskasernen sind heute das Sinnbild inhumanster Unterbringung, teils ohne fließendes Wasser. Die wirtschaftliche Situation Deutschlands, auch hervorgerufen durch die hohen Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag, führten zu geringer staatlicher Gestaltungsmacht. Es wurden bestenfalls die Versorgungsschwierigkeiten verwaltet.

Heute fehlen in Deutschland auch Wohnungen. Der Unterschied ist nur, dass der Mangel nicht flächendeckend, sondern nur in Teilmärkten der schätzungsweise über 230 Wohnungsmärkten in Deutschland gegeben ist. Schwarmstädte und Teilmärkte der Big Seven ziehen Menschen inländisch wie ausländisch an. Deutschland befindet sich heute in keiner vergleichbaren Wirtschaftskrise wie 1923, dem Jahr der Hyperinflation. Deutschland steht nicht unter den Repressalien von Kriegsreparationen, sondern hat mit einer Schuldenquote von ca. 66 Prozent am Bruttoinlandsprodukt einen der niedrigsten Schuldenbelastungen in der Europäischen Union. Wohnen ist auch heute – in der Tat – eine sozialpolitische Frage von großer Bedeutung. Man sollte jedoch nicht im Jahr 2023 den Anschein erwecken, als stünde man einer Situation, die mit der Weimarer Republik vergleichbar ist.

Zu den Säulen des ersten Mieterschutzgesetzes

Der Staat hat drei Aspekte der strategischen Wohnungspolitik in den 1920er Jahren in den Blick genommen: Wohnraumbewirtschaftung, Mietenbewirtschaftung und die Baupolitik.

In der Wohnraumbewirtschaftung verhielt es sich so, dass bereits einzelne Bundesländer zuvor schon begonnen hatten, die Wohnraumvermittlung in die öffentliche Hand zu geben. Private Vermittlungsgeschäfte wurden verboten. Dass das Bestellerprinzip der Neuzeit ein zahnloser Tiger sei und vielmehr das Maklergeschäft auch heute durch den seriösen Staat betrieben werden sollte, verkennt ebenfalls die Situation von damals. Denn das Vermittlungsgeschäft in der Weimarer Republik war eine professionalisierte Form des Sklavenhandels, mithilfe dessen Obdachlosen eine vermeintliche Bleibe versprochen wurde. Das Maklergeschäft von heute hat damit nichts zu tun.

In der Mietenbewirtschaftung wurde eine Art Mietenstopp verhängt, anders aber als es die politische Linke heute für geboten hält. Denn der Mietenstopp auf Basis des Reichsmietengesetzes von 1922 sah eine sogenannte Friedensmiete auf Basis von 1914 (dem Beginn des Weltkrieges) vor und durfte gesetzlich verbrieft jedes Jahr durch dynamische Zuschläge aufwachsen. Diese Zuschläge hielten zwar der allgemeinen, sehr hohen Preisentwicklung nicht stand, führten aber zu einem grundsätzliche, wenn auch mäßigen Realmietenanstieg. Die Weimarer Republik hat keineswegs dafür gesorgt, dass es keinen Mietenanstieg mehr gibt, wie heute behauptet wird.

Dass sowohl das Reichsmietengesetz als auch das Mieterschutzgesetz nicht für Neubauten galten und die Landesregierungen dazu ermächtigen, bestimmte Gemeinden oder bestimmte Wohnungstypen von der gesetzlichen Bindung freizustellen, führte zu einer dysfunktionalen Spaltung des Wohnungsmarktes.

Was ebenfalls vergessen wird: Zentraler Aspekt des Mieterschutzgesetzes von 1923 war die Einführung sogenannter Mieteinigungsämter, in der Mieter und Vermieter paritätisch besetzt zusammenkommen, um Mietbestimmungen und Konflikte zu lösen. Schon damals war klar, dass der Mietmarkt nur in einem gemeinsamen, sozialen Miteinander funktionieren kann. So wurde damals erstmals ein Kündigungsschutz eingeführt.

In der Baupolitik sollte der Staat zum obersten Bauherrn werden. Von 1925 bis 1933 wurden fast 90 Prozent aller Neubauwohnungen durch staatliche Bauprogramme fertiggestellt. Doch der Staat konnte es nicht besser als heute. Im Gegenteil: Zwischen 1918 und 1935 wurden jährlich im Durchschnitt nur 177.181 neue Wohnungen errichtet – deutlich weniger als heute. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Baukapazitäten in der Weimarer Republik noch nicht groß genug, Lieferengpässe an der Tagesordnung waren und die Inflation 1923 fast einen vollständigen Baustopp bedeuteten. Einer amtlichen Statistik des Reichsarbeitsministeriums vom 16. Mai 1927 gibt an, dass in Gemeinden über 5.000 Einwohnern rund 6,4 Prozent aller Haushalte ohne eigene Wohnung seien. In Großstädten lag der Anteil sogar bei über 10,3 Prozent. Es fehlten damals 600.000 Wohnungen. Diese Statistik bezieht sich auf einen Zeitpunkt, vier Jahre nach Inkrafttreten des strengsten, jemals in Deutschland erlassenen Mieterschutzgesetzes. Vier Jahre lang konnte der Wohnungsneubau nicht dem Maße gesteigert werden, wie es notwendig gewesen wäre, obwohl der Staat mehr oder weniger das Wohnungsbauregiment übernommen hatte.

Fazit

Das Mieterschutzgesetz 1923 ist aus purer (Kriegs-)Not erlassen worden. Seine Erfolge sind überschaubar oder erst gar nicht existent. Erst das Außerkrafttreten des Gesetzes bzw. die Änderung der betreffenden BGB-Normen führten im Zusammenspiel mit der Freigabe der Preise in der Bundesrepublik dazu, dass ein soziales Mietrecht entstand (Einführung der Sozialklausel 1960) und die Bautätigkeit in hinreichendem Maße zunimmt.

Die Weimarer Republik hat in so vielen Bereichen des Politischen, Wirtschaftlichen wie auch Gesellschaftlichen gezeigt, dass Fehler nicht wiederholt werden dürfen. Die Wohnungspolitik gehört gewiss auch dazu. Statt eines Mietenstopps dämpft das wohl austarierte BGB von heute den Mietenanstieg über Kappungsgrenzen. Statt eines Maklerverbots fordert der Gesetzgeber höhere verbraucherschutzrechtliche Transparenz ein. Statt eines Neubauverbots für Private soll der Staat heute für die besten Rahmenbedingungen für private Investitionen sorgen und erzielt damit (wenn auch immer noch nicht zufriedenstellend) höhere Baufertigstellungszahlen als vor 100 Jahren.

Politische Entscheidungsträger und die Gesellschaft sollen und müssen natürlich aus der Geschichte notwendige Lehren ziehen. Doch aus Lehren darf nicht Leere werden. Die kontextfreie Übertragung von Entscheidungen damals auf heute führen in die Irre. Vielmehr müssen politische Entscheidungsträger die Bau- und Mietenpolitik in dem Sinne weiterentwickeln, wie sie Antworten auf die Herausforderungen von heute gibt. Damals war schließlich alles anders.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von KPC KOWITZ Policy Consultants
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juni 2023

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