Standards für Immobilien der Zukunft
Green Building, Zertifizierung und Gütesiegel für Nachhaltigkeit sind in den vergangenen drei Jahren zur Pflicht geworden. Die Kür zeigt sich zunehmend in den resultierenden Themen der Nutzungsphase, in der Kooperation von Mieter und Vermieter sowie in zukünftigen Handlungsfeldern bei Immobilieninvestitionen. Die Branche ist in Bewegung geraten, und gleichzeitig verlagern sich die Aktivitäten der Akteure mehr und mehr in den Bestand.
Von vielen wurde Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft vor kurzem noch als vorläufiger Trend und Marketinginstrument eingeordnet. Das ist überholt. Eine aktuelle Studie von Ernst & Young belegt, dass die Entwicklung in den Chefetagen angekommen ist. Die Frage, ob das Thema Nachhaltigkeit auf Vorstandsebene behandelt wird, beantworten inzwischen 91 Prozent der Befragten mit „ja“. Nachhaltigkeit ist wettbewerbsrelevant. Der amerikanische Green Building-Vorreiter Jerry Yudelson bringt es auf den Punkt: „Wer nicht mitmacht, hat schon verloren!“
Der Nachhaltigkeitsbericht 2011 der IVG zeigt beispielsweise, wie das Thema als wichtiger Bestandteil des unternehmerischen Selbstverständnisses bereits in Geschäftsstrategie und Unternehmensziele eingebettet wird. Corporate Sustainability heißt das Thema und belegt, dass hier kein Produktthema bearbeitet wird, sondern eine grundsätzlich andere Haltung entsteht, die in Corporate Governance-Anforderungen integriert wird.
Blickt man von der Unternehmensebene auf die Objektebene, kann man eine ebenso deutliche Tendenz feststellen: Zertifizierungen und Green Building Labels sind für hochwertige Neubauprojekte in den Immobilienzentren während der letzten drei Jahre seit dem Markteintritt der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zum Standard geworden. Der Abgleich von Qualitäten und Gebäudeeigenschaften an anerkannten Benchmarks und die zusätzliche Sicherheit durch eine externe Prüfung ist ebenso ein Grund dafür wie die ganz praktische Verwendbarkeit der Kriterien und Indikatoren der Bewertungssysteme als Diagnosetool durch alle Projektphasen. Die Zertifizierung führt immer zu Transparenz und im Idealfall, bei rechtzeitiger Anwendung zu besseren Prozessen und Gebäuden.
Teure Missverständnisse können mit konkreten Zielen vermieden und Fehlplanungen schon in der Initialphase der Projekte verhindert werden. Das Zertifizierungssystem funktioniert damit als effizientes Optimierungstool und produziert nebenbei eine umfassende Dokumentation, die zukünftig in keinem Datenraum mehr fehlen darf.
Ein Gütesiegel für Nachhaltigkeit führt zu Immobilien, die einen Wettbewerbsvorteil generieren: durch ihre nachgewiesenen Qualitäten, aber nicht zuletzt auch durch ihre überlegenen Kommunikationsmöglichkeiten. Das betrifft sowohl die Kommunikation nach innen wie nach außen. So wird die Immobilie auch zum Hebel für eine innovative Unternehmenskultur und liefert durch ihre Nachhaltigkeit den entscheidenden USP im scharfen Wettbewerb.
Diese Immobilien finden schneller gute, bonitätsstarke Mieter aus der Riege internationaler Unternehmen, die nach entsprechenden Corporate Governance-Richtlinien handeln. Sie finden auch leichter Investoren, die während der Due Diligence nicht lange nach relevanten Informationen suchen müssen. Richtig verstanden, entstehen also Immobilieninvestments mit geringerem Risiko.
Gespräche mit Immobilienfinanzierern zeigen, dass man bereit ist, hier genau hinzusehen, um die Konditionen für das Fremdkapital zu optimieren. Wenige Kreditinstitute gewähren bereits geringere Zinssätze für diese risikoreduzierten Immobilienprojekte. Die weitere Differenzierung scheint aber unausweichlich: Sei es bei der „CapRate“ im Zuge der Bewertung oder beim „LoanToValue-Ratio“ im Rahmen der Kreditvergabe. Für ökonomisch nachhaltige Immobilienprojekte wird es in Zukunft mehr Spielraum geben. Schließlich sieht die Beleihungswertverordnung schon jetzt die Berücksichtigung nur jener Erträge vor, die nachhaltig erzielt werden können.
Auch die Akteure in der Branche spüren diese Entwicklung. So antworten 78 Prozent der Befragten der oben genannten Ernst & Young-Studie auf die Frage, ob Immobilien mit Nachhaltigkeitsaspekten aufgewertet werden mit „ja“. Die Frage, ob Nachhaltigkeit in Metropolen einen Wettbewerbsvorteil bedeutet, beantworten sogar 96 Prozent mit „ja“!
Vom Objekt zum Investment
Auf Objektebene bereits fest verankert, wird das Thema nun in den immer zahlreicheren grünen Fondsprodukten auf dem Kapitalmarkt sichtbar. So war eines der ersten Green Building-Fondsprodukte, der „Hesse Newman Green Building“ des Hamburger Emissionshauses Hesse Newman mit einem zertifizierten Gebäude, innerhalb von nur zehn Wochen vollständig platziert. Für Investitionen institutioneller Anleger wird ein Nachweis der Nachhaltigkeit inzwischen fast überall vorausgesetzt.
Allerdings sind viele Themen, die sich daraus ableiten und entwickeln, für Investoren und Vermieter noch neu und müssen zukünftig bearbeitet werden: Gebäudehandbücher, Mieterkommunikation sowie kooperative Modelle zwischen Vermieter und Mieter (Green Leases) um nur einige zu nennen. Schließlich lassen sich erst langfristig, in den Jahren der Nutzung und des Betriebs, alle Vorteile einer nachhaltigen Immobilie wirklich realisieren. Schon die ersten Studien zu LEED-zertifizierten Gebäuden aus dem Jahr 2003 wiesen der Produktivitätssteigerung der Mitarbeiter in nachhaltig geplanten Gebäuden mit 70 Prozent den höchsten Anteil an den quantifizierbaren Vorteilen insgesamt zu.
Das erklärt, warum die Nutzer sich an die Spitze der Bewegung gesetzt haben und die Entwicklung weiter vorantreiben. Die Rechnung ist einfach: bleibt ein Mitarbeiter nur jeden Tag ein halbe Stunde länger im Büro oder erledigt seine Aufgaben eine halbe Stunde schneller, weil er in lichtdurchfluteten gut belüfteten Räumen arbeiten kann, ergibt sich bereits eine Produktivitätssteigerung von 6,25 Prozent. In personalintensiven Dienstleistungsunternehmen bedeutet das eine große Spanne. Kapitalisiert über 20 bis 30 Jahre lässt sich der enorme Kostenvorteil leicht ausrechnen. Der hohe Anteil an der Gesamtnachfrage nach grüner Bürofläche aus den Bereichen Unternehmensberatung (ca. 29 %) und Finanzwirtschaft (ca. 20 %) spiegelt sich hier schon jetzt wider.
Ob für Investoren oder Eigennutzer, die ökonomischen Vorteile sind greifbar. Der Investor kann sich auf eine hochwertige, effiziente Immobilie mit optimierten Nebenkosten stützen, die stabil vermietbar bleibt, und Eigennutzer können die Vorteile geringerer Betriebskosten voll vereinnahmen und ihren Mitarbeitern eine gesunde Arbeitsumgebung mit hohem Nutzerkomfort bieten.
Vom Neubau zum Bestand
Während die besonderen Anforderungen an die Qualität und Prozesse bei Neubauprojekten Standard werden, sind diese im Bestand schwieriger umzusetzen. Hier stellt sich die Frage, wie mit angemessenem Aufwand Ergebnisse erzielt werden können. Die Datengrundlage zu den Eigenschaften des Gebäudes und zu den Verbrauchswerten ist oftmals ungenügend und nur mit hohem Aufwand zu beschaffen.
Um auch im Gebäudebestand die notwendige Transparenz zu schaffen, bieten sich eine Reihe von Screeningtools und Ratingmodellen als Lösung an. Diese Systeme arbeiten in der Regel mit Informationen, die ohnehin verfügbar oder leicht zu beschaffen sind. So lassen sich auch größere Bestände durchforsten und der Grad der Nachhaltigkeit darstellen. Damit werden systematisch Daten erhoben und es entsteht eine Grundlage für Portfoliomanager und Assetmanager, Ihre Nachhaltigkeitsziele ökologischer, ökonomischer und sozialer Art (Nutzerkomfort) effektiv zu verfolgen.
Im Frühjahr dieses Jahres hat auch die DGNB eine Systematik zur Zertifizierung von Bestandsgebäuden entwickelt. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Datenlücke ist ein zweistufiges Verfahren entstanden. Es erlaubt dem interessierten Eigentümer zunächst eine Bestandsanalyse durchzuführen, um sich einen Überblick zu verschaffen und Optimierungspotenzial zu identifizieren. Die Bestandsanalyse zeigt systematisch auf, wo Gebäudequalitäten verbessert und Betriebsabläufe optimiert werden können. Auf dieser Basis kann die Immobilie dann planmäßig bearbeitet werden, um bei Bedarf in einem zweiten Schritt, möglicherweise bei Neuvermietung oder Verkauf, eine Zertifizierung durchzuführen.
Mit dem Gütesiegel in Bronze, Silber oder Gold wird das Bestandsgebäude dann direkt vergleichbar, denn die Zielwerte gleichen denen für neue Gebäude. Ein beachtenswerter Umstand, denn so werden sich Bestandsimmobilien anhand des Kriterienkatalogs direkt an Neubaustandards messen lassen müssen. Es ist anzunehmen, dass damit ein erheblicher Druck auf Eigentümer entsteht, sich mit Ihren Beständen zu befassen.
Das Ziel der Transparenz wird dann auch im Bestand erreicht und damit eine Grundanforderung an zukunftsfähige Immobilien erfüllt. Mit einem „grünen“ Anteil von rund 0,5 Prozent des gesamten deutschen Büroflächenbestands sind wir gegenwärtig erst am Anfang der Reise.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von atmosgrad
Erstveröffentlichung: SCOPE-Kompendium Offene Immobilienfonds, Okt. 2011