16.01.2024

Löhne, Logistik und Willkommenskultur

Einblicke in die Praxis der Produktionsverlagerung ins Ausland

Manuel Schrapers, Geschäftsführer, Metroplan Eastern Europe GmbH
Manuel Schrapers

Metroplan ist ein Unternehmen, das auf Beratung, Planung und Umsetzung beim Aufbau von Produktions- und Logistikstandorten für Industrie- und Logistikunternehmen spezialisiert ist. Ein neuer Produktionsstandort ist vor allem dann eine große Herausforderung, wenn er im Ausland errichtet werden soll. The Property Post (TPP) hat Geschäftsführer Dr. Manuel Schrapers gefragt, was Unternehmen dazu bewegt, den Schritt ins Ausland zu gehen und wie das in der Praxis funktioniert.

The Property Post (TPP): Herr Dr. Schrapers, ins Ausland zu gehen ist für Unternehmen normalerweise ein sehr großer Schritt, der wohlüberlegt sein will. Vor allem wenn es sich um das erste Mal handelt. Was bringt Unternehmen hauptsächlich dazu, Standorte außerhalb von Deutschland zu suchen?
Dr. Manuel Schrapers (M.S.):
Deutschland ist zwar nach wie vor ein sehr attraktiver Standort für wissensgetriebene Unternehmen, zum Beispiel aus der High-Tech- oder Pharmaindustrie, aber je weiter Sie an den Anfang der Wertschöpfungskette rücken, desto stärker fallen die in Deutschland vergleichsweise hohen Lohn- und Arbeitskosten ins Gewicht. Hinzu kommt die Sorge über den zunehmenden Fachkräftemangel. In Deutschland konkurrieren immer mehr Unternehmen um immer weniger teure Fachkräfte, während andere Länder im Bereich Bildung und Qualifikation deutlich aufgeholt haben und qualifizierten Nachwuchs zu bezahlbareren Preisen bieten.

TPP: Das Thema Personal und Arbeitsmarkt ist also der wichtigste Anlass für Ihre Kunden, über einen Standort im Ausland nachzudenken. Welche Gründe gibt es noch?
M.S.:
Ja, die Personalkosten sind für die meisten unserer Kunden ausschlaggebend, gefolgt Logistikkosten, Energiekosten und den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten für die Gebäude am neuen Standort.

TPP: Die Kosten für das Produktionsgebäude stehen in dieser Reihenfolge an letzter Stelle? Das ist überraschend.
M.S.:
Richtig. Je nachdem, wie das Unternehmen aufgestellt ist, ist für 30 bis 60 Prozent unserer Kunden die Personalfrage und die damit verbundenen Kosten am wichtigsten, während die Anschaffungs- und Herstellungskosten nur für 5 bis 15 Prozent den Ausschlag geben.

TPP: Woran liegt das?
M.S.:
Wie gesagt, an den Kostenvorteilen, aber auch daran, dass es oft einfacher ist, den Produktionsstandort zu den Menschen zu bringen als umgekehrt. Die meisten Menschen haben eine starke Heimatverbundenheit und möchten ihrer Kultur und ihren Traditionen treu bleiben. Regelmäßig zu seinem Arbeitsort zu pendeln, ist zwar eine Alternative, aber eine, die sehr engen Grenzen unterliegt und mit zusätzlichen Risiken behaftet ist. Denken Sie zum Beispiel an die Lockdowns und temporären Grenzschließungen in der Corona-Pandemie zurück oder, ganz aktuell, an die Wiedereinführung der Grenzkontrollen wegen des Flüchtlingsthemas.

TPP: Wie sieht der Prozess der Standortanalyse und -auswahl bei Ihnen in der Praxis aus?
M.S.:
Wir beginnen immer mit einer umfassenden ergebnisoffenen Bedarfsanalyse beim und mit dem Kunden. Wir prüfen unter anderem die vorhandenen Kapazitäten, den Flächenbedarf, die Kostenstrukturen und die langfristigen Investitionsstrategien. Erst wenn wir unseren Kunden und sein Geschäft verstanden haben, können wir einschätzen, wozu er einen neuen Standort benötigt, welche Anforderungen dieser erfüllen muss und ob er sich für ihn rechnet.

TPP: Kann es auch vorkommen, dass die Idee, einen neuen Standort im Ausland zu errichten, wieder verworfen wird?
M.S.:
Das kann tatsächlich passieren. Bei der Bedarfsanalyse mit Unterstützung durch Metroplan als externen Berater können vorhandene Kapazitäten, die anders oder effizienter genutzt werden können, sichtbar werden. Es ist ganz normal, dass mit den Jahren ein gewisses Maß an Betriebsblindheit entsteht, durch das man solche Möglichkeiten ohne den Blick von außen nicht erkennt.

TPP: Aber wäre dass dann nicht schlecht für Ihr Geschäft?
M.S.:
Im Gegenteil. Unseren Kunden den Aufbau eines neuen Standorts nahezulegen, obwohl eine sorgfältige Bedarfsanalyse ergeben hätte, dass er seine Ziele mit deutlich geringeren Investitionen in die vorhandenen Kapazitäten erreichen kann, wäre schlecht für unser Geschäft.

TPP: Angenommen, die Entscheidung zur Suche eines neuen bzw. weiteren Standorts ist gefallen. Wie geht es weiter?
M.S.:
Im Grunde geht dann vom Großen ins Kleine, wobei wir stets mehrgleisig fahren. Zunächst bewerten wir verschiedene Länder anhand von Kriterien wie Mindestlohn, Arbeitnehmerrechten, politischer Stabilität, Wirtschaftsförderung, Bürokratie, Energieversorgung und Steuern. Danach geht es runter auf die regionale Ebene, auf der wir die tatsächlichen Lohnkosten, Förderprogramme, Arbeitskräfteverfügbarkeit, Logistik, Zugänglichkeit usw. untersuchen. Und zuletzt suchen wir nach passenden Gemeinden, Grundstücken und Gebäuden. Hier berücksichtigen wir die Kosten, detaillierte Strukturen des Arbeitsmarkts, die Qualität der Logistik, die Willkommenskultur und den sogenannten „Industry Footprint“, also die lokale Industriestruktur.

TPP: Was meinen Sie mit „mehrgleisigem Vorgehen“?
M.S.:
Das bedeutet, immer mehrere Optionen gleichzeitig zu untersuchen, miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Sich von vorne herein auf einen bestimmten Standort einzuschießen, würde die Verhandlungsposition schwächen und dazu führen, mehr als nötig zu bezahlen. Ob auf Länder-, Regional- oder Gemeinde- und Grundstücksebene, wir beginnen deshalb immer mit einer Auswahl von drei bis fünf Optionen, die wir je auf zwei reduzieren, so dass wir stets eine Wettbewerbssituation haben. Neben einer ausführlichen Dokumentation gibt das dem ganzen Prozess auch Revisionssicherheit.

TPP: Und was meinen Sie mit „Willkommenskultur“?
M.S.:
Die Willkommenskultur beschreibt die Bereitschaft der Gemeinden und lokalen Akteure, für den Investor Probleme zu lösen, also ob und wie stark sie motiviert sind, den Aufbau des neuen Standorts zu unterstützen, wieviel Vertrauen und Wohlwollen dem Unternehmen und seinem Vorhaben entgegengebracht wird usw.

TPP: Das sind ja eher weiche Themen, die sich schwer quantifizieren lassen. Wie gehen Sie dabei vor?
M.S.:
Wir machen persönliche Termine und Besichtigungen vor Ort. Dabei bekommen wir schnell ein Gefühl dafür. Die Entscheidung zugunsten eines neuen Standorts kann nicht leichtfertig getroffen werden. Dazu muss schon alles gleichermaßen passen. Technisch und wirtschaftlich sowieso, aber auch zwischenmenschlich. Ein Standort, an dem sich die Investoren und das Unternehmen nicht ausreichend willkommen fühlen, wird den Zuschlag nicht bekommen. 

TPP: Was passiert, nachdem die Standortentscheidung gefallen ist?
M.S.:
Andere Länder, andere Gepflogenheiten und gerade wenn man als Unternehmen keine Vorerfahrungen mit einem anderen Land hat, kann der Aufbau des neuen Produktionsstandortes eine große Herausforderung sein. Wir bieten unseren Kunden deswegen an, sie auch beim Aufbau des neuen Standorts zu unterstützen. Als technischer Berater, bei der Bauplanung, bei Antragstellungen, Genehmigungen, im Kontakt mit den Behörden, bei den Ausschreibungen, Vergaben, der Bauüberwachung und allen anderen Schritten bis zur Abnahme und Inbetriebnahme.

TPP: Wie beeinflusst der Aufbau eines neuen Standorts den Immobilienmarkt?
M.S.:
Ein Standort, der neu erschlossen wird, hat den Vorteil günstiger Einstiegspreise, aber den Nachteil eines höheren Risikos, weil viel Pionierarbeit geleistet werden muss. Zieht die einzelne große Investition dann weitere Investoren an, entwickelt er sich zu einem etablierten Standort mit geringerem Investitionsrisiko, dafür aber mit immer höheren Preisen – für die Flächen und die Fachkräfte. Bei weiterem starkem Zuzug, können negative Agglomerationseffekte entstehen. Zum Beispiel durch Sättigung und zurückgehender Willkommenskultur.

TPP: Sicherheit hat sozusagen ihren Preis. Welche Standorte wählen Ihre Kunden normalerweise? Eher abgelegene mit günstigen Einstiegspreisen und der Chance, eine Initialzündung auszulösen oder bereits etablierte Lagen mit zwar höheren Preisen, aber an denen weniger schiefgehen kann?
M.S.:
Unsere Kunden gehen gerne an Standorte mit niedrigen Gesamtkosten aus Personal und Logistik mit hoher Verfügbarkeit an geeigneten Fachkräften und einem guten nahegelegenen Bildungsangebot. Sie bevorzugen Gemeinden, in denen sie als Investor am meisten willkommen sind. Das sind in der Regel nicht die Hauptstädte, großen Ballungsräume und etablierten Lagen.

TPP: Herr Dr. Schrapers, herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Metroplan Eastern Europe GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2024

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