Präventives Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft
In Deutschland werden pro Jahr mehr als 70.000 gerichtliche Streitigkeiten in Bau- und Architektensachen von den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten durch Vergleich, Urteil oder Klagerücknahme erledigt. 70.000-mal müssen Ressourcen für interne Schriftsätze und Falldarstellungen, interne und externe Rechtsberatungskosten, Gutachter- und Gerichtskosten zur Verfügung gestellt werden. Ressourcen, welche nicht verwendet werden können, um die Herausforderungen, welche zu den Streitigkeiten geführt haben, zu lösen. Aus diesen Erfahrungen heraus beginnt heute fast jedes neue Projekt mit der Versicherung der Beteiligten, partnerschaftlich und kooperativ zusammen arbeiten zu wollen. Doch es scheitern weiter mehr als 70.000 Projekte pro Jahr. Warum?
Neben den verbalen Versicherungen gibt es mittlerweile einige Modelle der partnerschaftlichen Projektabwicklung wie das BauTeamVerfahren, das Design&Build-Verfahren und die Integrierte Projektabwicklung mittels Mehrparteienverträgen. Außerdem werden in vielen HOAI-, VOB- und BGB-Verträgen Instrumente der außergerichtlichen Streitbeilegung integriert. Von den Förderern dieser Modelle ist auf Konferenzen wie zum Beispiel der Design&Build Konferenz Berlin immer wieder folgendes Feedback zu hören: Voraussetzung für das Gelingen partnerschaftlicher Projektabwicklungen ist ein kollaboratives Mindset der Projektbeteiligen. Im Fokus liegt der unbedingte Glaube daran, dass das beste Projektergebnis nur durch Transparenz, gegenseitigen Respekt und Vertrauen erreicht werden kann.
Wie aber entsteht Vertrauen und wie bringt man die unterschiedlichen Projektbeteiligten zur Kooperation? In vielen Industriebereichen gibt es Kooperationen. Firmen und Unternehmen zum Beispiel in der Automobilindustrie müssen in unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsketten denken, um auf veränderte Marktbedingungen und einen immer härter werdenden Wettbewerb zu reagieren. Der entscheidende Unterschied zur Bau- und Immobilienwirtschaft ist, dass diese Kooperationen langjährige Projekte sind, und dass die Partner dieser Projekte von Anfang an feststehen und sich oft schon kennen. Ganz im Gegensatz zur Immobilienwirtschaft, wo zum Beispiel ein Trader Developer ein Projekt initiiert, es nach der Baurechtsschaffung an einen Investor verkauft, welcher das Projekt realisiert und es nach der Vermietung der Flächen in einem Forward Deal vor der Fertigstellung weiterverkauft. Projekte in der Bau- und Immobilienwirtschaft müssen sich der grundlegenden Herausforderung stellen, kooperatives Verhalten in sehr kurzer Zeit mit sehr unterschiedlichen und vorher nicht vertrauten Beteiligten zu etablieren.
Ein Instrument, um kooperatives Verhalten in kurzen Projektlaufzeiten zu erreichen, ist die Implementierung eines Kooperationsmanagements. Das Kooperationsmanagement in einem Projekt ist verantwortlich für die Organisation und die Koordination der Zusammenarbeit zwischen den Projektbeteiligten. Es geht darum, den Fokus der Zusammenarbeit immer wieder auf die Erreichung des gemeinsamen Projekterfolges zu richten. Die Wertschöpfung jedes einzelnen Beteiligten kann nur gelingen, wenn man gemeinsam die Voraussetzungen schafft, dass die Projektziele erreicht werden. Ein unabhängiger und allparteilicher Kooperationsmanager ist in der Lage, die Einzelinteressen und rechtlichen Selbstständigkeiten jedes einzelnen Unternehmens zu wahren und den jeweils anderen Beteiligten bewusst zu machen. Kooperationsmanager können in Anlehnung an AHO, Heft 37 „Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft“ in ein Projekt integriert werden. Ein Kooperationsmanager sollte im Bereich Kommunikation und außergerichtliche Streitbeilegung geschult sein und außerdem über eine möglichst breite fachliche Expertise verfügen. Kooperationsmanager werden von möglichst vielen Beteiligten gemeinsam beauftragt werden, um die Unabhängigkeit und Allparteilichkeit zu gewährleisten. Und klar: Die Beauftragung kostet Geld. Gut investiertes Geld, um zu verhindern, dass unsere Gerichte sich weiter mit mehr als 70.000 gerichtlichen Streitigkeiten pro Jahr beschäftigen. Den Projekten, welche davon betroffen sind, helfen die Urteile nicht. Nur Lösungen helfen - und diese können am besten durch kooperatives Verhalten aller Projektbeteiligten erarbeitet werden.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von BEST 4 PROJECT
Erstveröffentlichung: The Property Post, Dezember 2021