Kommt’s noch dicker?
Kaum ist die Aufregung um die EU-Gebäuderichtlinie und das Heizungsgesetz in Deutschland verflogen, bringen sich die politischen Akteure in der EU schon in Stellung mit Blick auf das Klimaziel 2040. Für die Branche könnte das neue Herausforderungen mit sich bringen.
Es gibt drei Möglichkeiten, was passiert, wenn zwei Züge aufeinander zufahren. Entweder sie kollidieren, sie bremsen vorher ab oder sie stellen, bevor das eine oder das andere geschieht, eine Weiche, um gefahrlos aneinander vorbeizukommen. Letzteres ist in der Politik der klassische Kompromiss; die beiden erst genannten Möglichkeiten bedeuten bestenfalls inhaltlicher Stillstand. Ein Kompromiss wird dringend gebraucht in der europäischen Klima- und Energiepolitik, ehe zwei fahrende Züge noch mehr beschleunigen. Denn für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft haben die beiden Züge, die da in Europa fahren, große Relevanz.
Die beiden Züge haben Namen: Da wäre einerseits die EU-Kommission. Sie sieht sich angesichts ihrer klimapolitischen Verpflichtungen, die sich etwa aus dem Pariser Klimaschutzabkommen speisen, gezwungen, die Ziele der EU weiter zu verschärfen und neue gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine Netto-Emissionsreduktion von 90 Prozent bis 2040 zu erreichen. Dagegen tritt andererseits mehrheitlich das Europäische Parlament und dazu viele Mitgliedstaaten zunehmend für eine Wirtschaftspolitik ein, die Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum stärker in den Fokus rückt. Diese unterschiedlichen Prioritäten könnten nicht nur weitreichende Konsequenzen für die europäische Gesetzgebung haben, sondern auch auf die Immobilienwirtschaft. Denn zum einen denkt kaum eine Branche in so langen Investitionszyklen, weshalb es sich lohnt, heute schon über 2040 nachzudenken. Zum anderen macht es sowohl für Projektentwickler als auch Bestandshalter einen großen Unterschied, ob und wie die nächste EU-Gebäuderichtlinie in ein paar Jahren aussehen wird.
Die Position der EU-Kommission: Ambitionen für das Jahr 2040
Die EU-Kommission wird demnächst einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen, der das Ziel einer Netto-Emissionsreduktion von 90 Prozent bis 2040 festschreibt. Dieses Ziel baut auf früheren klimapolitischen Maßnahmen wie dem Fit-for-55-Paket auf, in dem beispielsweise auch die EU-Gebäuderichtlinie steckt. Das neue Klimagesetz 2040 wird tiefgreifende Maßnahmen in allen Bereichen erfordern, insbesondere im Gebäudesektor. Geplante Änderungen wie die Ausweitung des Emissionshandels auf den Wärmesektor und strengere Energieeffizienzvorgaben stellen große Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft dar. Außerdem plant die Kommission, regelmäßige Überprüfungen der Fortschritte durchzuführen, was die langfristige Planung für Investitionen erschweren könnte.
Laut der Folgenabschätzung ist das Erreichen dieser ehrgeizigen Klimaziele nur durch eine umfassende Umgestaltung der Wirtschaft und des Energiesystems möglich. Die bereits eingeleitete Verschmelzung von Energie und Immobilie dürfte dann noch wichtiger werden. Mehr noch, die aktuelle EU-Gebäuderichtlinie würde diesem klimapolitischen Anspruch nicht gerecht werden – sie wird ja heute schon den in EU-Gesetz gegossenen Klimazielen für 2030 nur bedingt gerecht. Das heißt: Setzt sich die EU-Kommission mit einem ambitionierten 2040er-Ziel durch müsste umgehend die EU-Gebäuderichtlinie erheblich nachgeschärft werden – und damit das Gebäudeenergiegesetz in Deutschland.
Die Position der EVP: Deregulierung und wirtschaftliche Prioritäten
Wer die Gegenposition beschreibt, die vom Parlament und dem Rat ausgeht, der meint eigentlich die EVP. Die konservative Parteienfamilie hatte nicht nur bei der letzten EU-Wahl im Sommer 2024 mit Abstand die meisten Sitze im Parlament erhalten, sie stellt auch die Hälfte aller Regierungschefs in Europa – in Deutschland möglicherweise bald einen weiteren. Ohne die EVP geht also nicht viel. Im Gegensatz zur EU-Kommission setzt die EVP auf eine Strategie der Deregulierung und wirtschaftlichen Entlastung. Auf einem kürzlich erfolgten Treffen auf Einladung von CDU-Chef Friedrich Merz in Berlin verabschiedeten die EVP-Spitzen ein Papier, das es durchaus in sich hat und auf Konfrontationskurs zur Kommission geht. Zwar bekennt sich die EVP weiterhin zu den allgemeinen Klimazielen und unterstützt den Emissionshandel als zentralen Mechanismus. Allerdings fordert sie beispielsweise, für das Zieljahr 2040 kein Ausbauziel mehr für erneuerbare Energien auszugeben. Die Mitgliedstaaten sollen selbst über die Technologien entscheiden, mit denen sie ihre Klimaziele erreichen. Dies würde insbesondere Pro-Atomkraft-Staaten wie Frankreich entgegenkommen und eine Abkehr von den bisherigen Zielen der EU-Kommission bedeuten. Dieser aus Sicht der EVP pragmatische Ansatz soll sicherstellen, dass Europa in einem globalen Wettbewerb mit den USA und China konkurrenzfähig bleibt.
Auswirkungen auf die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland
Die unterschiedlichen Ansätze der EU-Kommission und der EVP werden weitreichende Folgen für die Immobilienwirtschaft in Deutschland haben. Bereits das Fit-for-55-Paket hat gezeigt, dass klimapolitische Vorgaben immense Investitionen im Gebäudesektor erfordern – und nicht zuletzt großes Verhetzungspotential, wenn man an die Dauerbrenner „Vermietungsverbote“ und „Zwangssanierung“ denkt. Beides wird bekanntlich nicht eintreten.
Sollte die EU-Kommission mit ihren ambitionierten Plänen für die Netto-Emissionsreduktion bis 2040 durchkommen, wäre die nächste Anpassung der EU-Gebäuderichtlinie unumgänglich. Diese Richtlinie, die bereits mehrfach überarbeitet wurde, dient als zentraler Rahmen, um energiepolitische Ziele im Gebäudesektor zu erreichen. In Deutschland wird die EU-Gebäuderichtlinie durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) umgesetzt, das als wichtigstes nationales Regelwerk für die Energieeffizienz von Gebäuden gilt.
Mit einer Verschärfung der EU-Vorgaben ist zu rechnen, dass das GEG in mehrfacher Hinsicht nachgeschärft werden müsste:
Herausforderungen und Chancen für die Immobilienwirtschaft
Die Immobilienwirtschaft sieht sich mit einem massiven Investitionsbedarf konfrontiert. Schätzungen zufolge werden für die Dekarbonisierung des Gebäudebestands in den nächsten zwei Jahrzehnten hunderte Milliarden Euro benötigt. Während große Bestandshalter und Projektentwickler langfristige Strategien entwickeln können, um von Förderprogrammen und Skaleneffekten zu profitieren, stehen kleine Eigentümer oft vor existenziellen Fragen.
Die Finanzierung der energetischen Transformation bleibt der Knackpunkt. Ohne umfangreiche Förderprogramme, Steuererleichterungen und Kredithilfen wird die Last dieser Transformation voraussichtlich auf die Mieter abgewälzt. Höhere Mietkosten könnten in Deutschland zu einer Verschärfung der bereits angespannten sozialen Lage im Wohnungssektor führen.
Andererseits entstehen auch enorme Marktchancen: Anbieter von Energieeffizienztechnologien, Sanierungsdienstleistungen und digitalen Lösungen werden von der erhöhten Nachfrage profitieren. Zudem könnten klimafreundliche Immobilien an Wert gewinnen, während ineffiziente Gebäude an Attraktivität verlieren.
Möglicher Kompromiss und nationale Adaptionen
In der politischen Realität wird es jedoch vermutlich auf einen Kompromiss zwischen den ehrgeizigen Klimazielen der EU-Kommission und den wirtschaftsfreundlichen Forderungen der EVP hinauslaufen. Dies könnte bedeuten, dass Mitgliedstaaten wie Deutschland größere Spielräume erhalten, um eigene Lösungen im Gebäudesektor umzusetzen. In Deutschland könnte dies eine schrittweise Verschärfung des GEG und eine stärkere Betonung technologieoffener Ansätze bedeuten.
Ein zentraler Baustein könnte dabei die Einführung flexibler Übergangsfristen für Eigentümer sein, die den Druck kurzfristiger Investitionen mindern und gleichzeitig Anreize für die freiwillige Sanierung schaffen. So könnten zwei Züge elegant aneinander vorbeikommen und beide ihr Ziel erreichen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von KPC KOWITZ Policy Consultants
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2025