Der Weg zum Plus Energie-Gebäude
Es ist inzwischen allgemein bekannt: Gebäude in Mitteleuropa wie auch anderswo sind für mehr als 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich. Entsprechend groß sind die Umweltbelastungen, die aus der Beheizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung und der Elektrizitätsversorgung der Gebäude ausgehen. Während in anderen Lebensbereichen die Kompensation und die Kosten solcher Umweltbeeinträchtigungen dem Verursacher auferlegt werden, bleiben Gebäude und seine Benutzer bislang davon ausgenommen.
Doch das ändert sich. Die Energiesparverordnung (EnEV) verlangt inzwischen, dass das Haus einen (wenn auch noch geringen) Anteil seines Energiebedarfs regenerativ selbst erzeugt. Die Forderungen der neuen EU-Gebäuderichtlinie 2020 gehen deutlich weiter. Gemäß europäischer Gebäuderichtlinie sollen ab 2020 Neubauten nur noch als Niedrigstenergiegebäude errichtet werden (Energy Performance of Buildings Directive (EPBD) 2010/31/EU). Exakte rechtliche Anforderungen zur Umsetzung gibt es derzeit noch nicht. Nicht alle Bauaufgaben werden das ehrgeizige Ziel schon heute erfüllen können. Aber die Methoden, Technologien und Werkzeuge, extrem energiesparende oder in vielen Fällen in der Bilanz Energieüberschuss erzeugende Häuser zu planen und zu bauen, sind schon heute vorhanden.
Gelingen kann der Wandel hin zu klimaneutralen Gebäuden nur aufgrund verschiedener Eigenschaften. Eine geschickte Formgebung, ein ausgewogenes Verhältnis von Offenheit und Abschluss, von Transparenz und Masse sowie von Dämm- und Speichereigenschaften tragen dazu bei, Bauwerke von der externen Energiezufuhr unabhängig zu machen. Dies ist der erste notwendige Schritt: alle passiven Eigenschaften auszunutzen, die ein Gebäude und seine Hülle bieten können. Der Passivhaus-Standard und die entsprechenden Technologien haben hierzu wesentliche Voraussetzungen geschaffen. Die zugrunde liegenden starren Benchmarks berücksichtigen die Unterschiedlichkeit von Bauaufgaben jedoch nur unzureichend. Im Ergebnis können sie Zwänge hervorrufen, die die Wohn- oder Arbeitsatmosphäre beeinträchtigen oder zu hohen Mehrkosten ohne spürbare wirtschaftliche Vorteile führen: beispielsweise überdicke Wände, schachtartige Fenster, die Behaglichkeit beeinträchtigende Heizsysteme oder andere negative Eigenschaften.
In der Gesamtbetrachtung wird die regenerative Energieerzeugung am Gebäude zunehmend wirtschaftlich und macht den passiven Maßnahmen Konkurrenz. Aktive Gebäude bauen auf den Prinzipien der Minimierung der Energieverluste und des gebäudeinternen Energieverbrauchs sowie der direkten (passiven) Nutzung er Sonneneinstrahlung durch das Gebäude selbst auf. Zusätzlich sind aktive Gebäude auf die Energieerzeugung über ihre Gebäudehülle, seine erdberührten Bauteile und seine unmittelbare Umgebung ausgerichtet.
Für Architekten ist das eine neue Herausforderung. Der kreative Entwurfsprozess erfährt durch diese energetische Dimension neue Impulse. Der Genius Loci, der Bezug zum besonderen Ort der Bauaufgabe und zum spezifischen Programm, erweitert sich um einen geschickten Umgang mit den besonderen Umwelt-, Witterungs- und Versorgungsbedingungen. Während es in der Vergangenheit primär um den Schutz vor solchen Einflüssen ging, sollen diese nun zum Vorteil des Nutzers, zu seinem Wohlbefinden, seiner Sicherheit und zur Verringerung seiner wirtschaftlichen Belastung durch Betriebskosten eingesetzt werden.
Wie weit die Möglichkeiten heute bereits entwickelt sind, ein aktives Plusenergiegebäude auch unter erschwerten Bedingungen zu schaffen, das heißt in einem engen urbanen Kontext, auf extrem beengtem Grundstück und mit acht Geschossen, zeigt beispielhaft das in Frankfurt 2015 fertiggestellte Aktiv-Stadthaus. Das Mehrfamilienhaus mit 74 Wohneinheiten wurde von HHS Planer + Architekten aus Kassel gemeinsam mit den Stuttgarter Ingenieuren EGS-plan entwickelt und von der ABG FRANKFURT HOLDING gebaut.
Technisch basiert das Aktiv-Stadthaus auf einer wirtschaftlichen Reduzierung des Energiebedarfs und der Bereitstellung von Energie aus lokal verfügbaren Energiequellen. Eine wärme- und luftdichte Gebäudehülle sowie dezentrale mechanische Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung in den Wohnungen führen zu einem sehr geringen Heizwärmebedarf. Die Wärmeerzeugung erfolgt über eine elektrische Wärmepumpe mit 120 kW thermischer Leistung, als Wärmequelle wird der nahegelegene Abwasserkanal genutzt. Um das Ziel des Plusenergie-Wohnhauses zu erreichen, ist zur Energieerzeugung nicht nur das Dach, sondern auch die Südfassade mit Photovoltaikmodulen belegt. Auf dem ca. 1.500 Quadratmeter großen auskragenden Pultdach befinden sich 769 hocheffiziente Module.
Für die Fassadenintegration haben Dünnschichtmodule das Potential einer höheren Schwachlichtausnutzung, einer geringeren Empfindlichkeit gegen
Temperatursteigerungen sowie den Vorteil eines homogenen Erscheinungsbildes. 348 Module wurden in die Südfassade integriert.
Der jährliche Stromertrag aus den PV-Anlagen beträgt etwa 300.000 kWh/a. Der Strom aus „eigener Produktion“ wird in einer Li-FePo-Batterie im Untergeschoss des Hauses gespeichert. Dieser Puffer mit rund 250 kWh Kapazität dient dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage an Elektrizität im Gebäude. Damit soll ein hoher Eigenstrom-Nutzungsanteil aus den PV-Anlagen erreicht werden.
Im Rahmen des Projekts Aktiv-Stadthaus wurden erstmals die bisherigen Erkenntnisse im Maßstab von Einfamilienhäusern auf einen großmaßstäblichen Geschosswohnungsbau übertragen und umgesetzt. In dem folgenden zweijährigen Monitoring werden die gemachten Angaben überprüft.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von HHS Planer + Architekten
Erstveröffentlichung: The Property Post, April 2016