Refinanzierungsrisiken sollten ernst genommen werden
Die deutschen Immobilienmärkte sind bisher vergleichsweise unbeschadet durch die Turbulenzen der letzten Jahre gekommen. Das Transaktionsvolumen stieg 2011 deutlich an, und die Büroleerstände sind leicht gesunken. Ist diese Entwicklung nun zu Ende, weil im Zuge der Staatsschuldenkrise eine Refinanzierungskrise der Immobiliendarlehen droht? In den nächsten Jahren müssen in Europa Gewerbeimmobilienkredite im dreistelligen Milliardenbereich verlängert werden. Das könnte sich angesichts der regulatorischen Verschärfungen für den Finanzsektor als eine Herkulesaufgabe erweisen.
2011 ist das Volumen der Gewerbeimmobilieninvestitionen in Deutschland um über 20 Prozent auf knapp 24 Milliarden Euro gestiegen. Auch die Büroleerstände wurden 2011 etwas abgebaut und die Büromieten in den wichtigsten Bürostädten zogen leicht an. Hinzu kommt, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt als erstaunlich robust gegenüber jenen Unsicherheiten erweist, die sich in den letzten Monaten im Zuge der Staatsschuldenkrise in Europa über alle europäischen Volkswirtschaften wie ein lähmender Nebel gebreitet haben. Zuletzt haben sich sogar wichtige Frühindikatoren wie der ifo-Geschäftsklimaindex für die Gesamtwirtschaft verbessert. Auch der Deutsche Hypo-Immobilienklimaindex hat in den letzten Monaten seine Talfahrt beendet und liegt nun wieder in der Nähe der hohen Werte aus dem Sommer 2011. Natürlich sind viele dieser Verbesserungen auf den Immobilienmärkten zunächst ein Ausdruck der Krisenniveaus aus den Jahren 2008 und 2009. Noch wichtiger jedoch ist es zu erwähnen, dass sich diese positiven Entwicklungen der letzten Quartale nicht einfach in die Zukunft fortschreiben lassen.
Der Konsolidierungsdruck in vielen europäischen Ländern wird nach den aktuellen Prognosen der OECD in der Eurozone 2012 nur homöopathisches Wachstum erlauben. Für Deutschland wird weniger als ein Prozent Wirtschaftswachstum erwartet, für Griechenland, Portugal und Italien sogar eine Rezession. Weiter fallende Leerstandsquoten auf den deutschen Büromärkten sind angesichts solch geringer wirtschaftlicher Dynamik unwahrscheinlich. Doch für die nächsten Quartale ist dies nicht die größte Herausforderung der deutschen und europäischen Immobilienwirtschaft. Schwerer wiegt, dass sich für die Immobilienfinanzierung sowie, daraus abgeleitet, für die Immobilieninvestmentmärkte ein gefährlicher Cocktail aus historischem Erbe des letzten Finanzierungsbooms (2003 bis 2007), einer Verschärfung des regulatorischen Umfelds für Immobilienfinanzierungen und schließlich den noch nicht abgeschlossenen Aufräumarbeiten bei den Offenen Immobilienfonds bilden wird.
Insgesamt beläuft sich das Volumen gewerblicher Immobiliendarlehen von Banken in Deutschland auf rund 500 Milliarden Euro. Für Europa insgesamt liegt dieser Wert bei etwa 2.500 Milliarden Euro. Diese gewaltigen Zahlen für sich genommen sind unproblematisch, denn in Relation zum Bruttoinlandsprodukt reflektieren sie in erster Linie die Bedeutung der Immobilienwirtschaft. Gleichwohl verstecken sich hinter diesen Zahlen drei Problemfelder:
Erstens ist ein großer Teil der gewerblichen Immobiliendarlehen in den Gold- gräberjahren vor der Finanzkrise aufgenommen worden und steht zu einem großen Teil in den kommenden fünf Jahren zur Verlängerung an.
Zweitens ist vor der Finanzkrise insbesondere das Marktsegment der Verbriefungen stark gewachsen; für Europa macht es zwar nur rund 10 Prozent des gesamten gewerblichen Immobiliendarlehensbestands aus, doch da der Verbriefungsmarkt immer noch nicht wieder Tritt gefasst hat und sehr häufig Immobilienkredite verbrieft wurden, die nicht pfandbrieffähig gewesen wären, bergen gerade diese auslaufenden Verbriefungen Risiken. Dies gilt auch, weil die Investoren in den einzelnen Tranchen der Verbriefung sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Möchte man Anlegerrisiken streuen, ist die atomistische Struktur der Anleger zwar grundsätzlich von Vorteil, bei der Verhandlung einer Verlängerung kann sie sich jedoch als Problem erweisen.
Für Europa insgesamt werden von 2013 bis 2019 jedes Jahr 20 bis 25 Milliarden Euro Commercial Mortgage Backed Securities (CMBS) fällig. Das entspricht dem gesamten gewerblichen Immobilientransaktionsvolumen eines durchschnittlichen Jahres in Deutschland. Es ist keine Quantité négligeable – und die normalen gewerblichen Immobilienkredite sind hier explizit noch nicht berücksichtigt. Diese traditionellen Kredite lassen sich zwar leichter verlängern als CMBS, doch angesichts der Veränderungen im regulatorischen Regelwerk drohen auch hier harte Verhandlungen mit den Banken.
Drittens ist die Statistik hinsichtlich der Fälligkeitsstruktur von gewerblichen Immobilienkrediten oder CMBS völlig unbefriedigend; so erhält man je nach Datenquelle nicht nur eine unterschiedliche Struktur, sondern sogar ein unterschiedliches Gesamtvolumen. Die Immobilienbranche ist wie ein Schiff, das sich auf schwere See vorbereiten muss, aber nicht weiß, wie hoch die Wellen werden und wann sie eintreffen könnten. In solch unsicherer Situation werden erfahrene Kapitäne mehr vertäuen als notwendig wäre.
Sicher ist sicher. Der Verband der Hochseeschiffer, hier die Vertreter der Immobilienwirtschaft, sollte also unbedingt auf verlässlichere und granulare Daten für gewerbliche Immobilienkredite drängen, denn nur so lassen sich angemessene Krisenstrategien konzipieren.
Das Finanzierungsproblem wird in den nächsten Jahren durch einige regulatorische Maßnahmen, insbesondere durch die verschärften Eigenkapitalund Liquiditätsanforderungen an den Finanzsektor durch Basel III, verstärkt. Diese Verschärfungen sind ein Erbe des Verschuldungsbooms bis 2007. Sie sind langfristig gesamtwirtschaftlich nachvollziehbar, denn sie werden helfen, Schwankungen bei Immobilien und gesamtwirtschaftlichen Zyklen zu reduzieren. Kurzfristig werden diese Maßnahmen jedoch, nicht nur für Immobilieninvestoren, den Zugang zu Fremdkapital erschweren. Das Risiko von Notverkäufen sowie die Zahl taktischer Immobilienverkäufe zur Liquiditätsbeschaffung wird also in den nächsten Jahren zunehmen – ungeachtet der semantischen Drahtseilakte zur Vermeidung des Begriffs „Notverkauf“.
Neben dieser direkten Belastung für die Immobilienbranche durch Basel III erwächst ein zweiter Belastungsfaktor der bisher selten adressiert wird: Basel III engt nicht nur den Fremdkapitalkanal für Immobilienfinanzierungen ein, sondern reduziert auch die Expansionsmöglichkeiten kapitalintensiver Branchen; diese Tatsache wiederum schränkt das Vermietungspotenzial für die Immobilienbranche ein. Industrie- und Logistikimmobilien sind hiervon stärker betroffen als Büro- oder gar Wohnimmobilien. Um im Bild der Schifffahrt zu bleiben: Basel III wirkt wie zwei enorme Betonwände, die den Wellengang durch einen verengten Kanal schleusen und dadurch die Refinanzierungswellen noch höher auftürmen werden als sie ohnehin schon sind.
Und schließlich haben einige offene Immobilienfonds, sozusagen die Supertanker der Immobilienbranche früherer Jahrzehnte, noch immer nicht ihre Liquiditätslecks zufriedenstellend stopfen können. Weder das gesamtwirtschaftliche Umfeld noch die Finanzierungssituation lassen Zeit, um die Fehlentwicklungen der letzten Jahre durch Wachstumsprozesse aufzufangen, so dass auch von dieser Seite wei tere Zwangsverkäufe drohen. In diesem Licht wäre es angemessen, künftig nicht jeden Anstieg des Transaktionsvolumens als Jubelnachricht für die Immobilienbranche zu feiern.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise bedeutete für die globale Immobilienwirtschaft eine Zäsur. Der fremdkapitalinduzierte Boom wurde beendet, und selbst wenn es tatsächlich gelänge, den Verbriefungsmarkt wieder zum Laufen zu bringen, so würden die künftigen Verbriefungen viel vorsichtiger bewertet werden und deutlich weniger auf risikobehaftete Assets setzen können als vor der Finanzkrise. Insgesamt wird der Verbriefungsmarkt nicht mehr das Niveau der Vorkrisenjahre erreichen. Manchmal wird nach vorne schauend vom Verbriefungmarkt „2.0“ gesprochen – hinsichtlich des zu erwartenden Verbriefungsvolumens wäre wohl „0.2“ die angemessenere Zielvorgabe. Ähnlich wie die Staatsschuldenkrise in Europa dazu geführt hat, dass die Risiken der einzelnen Schuldnerländer wieder stärker unterschieden werden, so werden künftig auch die einzelnen Immobilienrisiken genauer analysiert und exakter bepreist werden. Wenn der Fristenkongruenz und der Lagebewertung wieder größere Beachtung geschenkt wird, ist dies langfristig betrachtet keine schlechte Entwicklung für die Immobilienbranche. Für die nächsten Jahre sollten sich Immobilienmarktakteure jedoch bewusst sein, dass noch nicht alle Turbulenzen ausgestanden sind.
Auch dies ist keineswegs für alle Akteure eine schlechte Nachricht, denn letztlich bedeutet der Übergang zu mehr Eigenkapital in der Immobilienwirtschaft einen Strukturwandel, an dessen Ende Staatsfonds, Private Equity Gesellschaften, Versicherungen und vielleicht sogar REITs eine größere Rolle spielen könnten als heute. Insofern ist der Begriff des Strukturwandels auch besser als das häufig bemühte Bild eines Tsunami. Dies würde bedeuten, dass anschließend nur Verwüstung bliebe – dies ist bei aller Sorge um die Entwicklungen stark übertrieben.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2011/2012