Konservative Finanzierungsstruktur schafft Sicherheitspuffer und erweitert Finanzierungsmöglichkeiten
Auf den ersten Blick erscheint die Situation für Kapital suchende Unternehmen zurzeit so komfortabel wie selten zuvor. In der Eurozone verharren die Leitzinsen schon seit mehreren Jahren unterhalb von einem Prozent und haben inzwischen sogar die Nulllinie erreicht beziehungsweise durchbrochen. Fremdkapital ist damit momentan so günstig erhältlich wie kaum jemals zuvor. Auch die Finanzierungsbereitschaft der Banken ist hoch, und die „Kreditklemme“ nach der internationalen Finanzkrise von 2007/2008 ist schon lange überwunden. Wer ein seriöses Geschäftsmodell vorweisen kann, hat heute meist keine Probleme, Kredite zu bekommen. Zudem ist derzeit bei Investoren, ungeachtet aller kurzfristigen Schwankungen der Marktstimmung an den Börsen, eine relativ große Bereitschaft zu beobachten, Eigenkapital – beispielsweise durch Erwerb von Aktien im Rahmen von IPOs oder Kapitalerhöhungen – zur Verfügung zu stellen. Auch hier spielen die niedrigen Zinsen zumindest indirekt eine Rolle, denn ihretwegen sind zahlreiche andere Anlagealternativen faktisch ausgefallen, die sonst geradezu standardmäßig in den Portfolios vieler institutioneller Investoren vertreten waren.
Doppelte Versuchung für kapitalintensive Immobilienunternehmen
Gerade für Unternehmen in kapitalintensiven Branchen wie der Immobilienwirtschaft ist mit dieser Situation in zweifacher Hinsicht eine große Versuchung verbunden. Zunächst einmal stellt ein leichterer Zugang zu Kapital für Immobilienunternehmen oft ein gutes Motiv für Wachstum durch neue Akquisitionen dar. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Doch gerade in den zurückliegenden Monaten hat der Mangel an Anlagealternativen in Verbindung mit einer hohen anlagesuchenden Liquidität dazu geführt, dass das Interesse von Investoren an Immobilien immer weiter zunahm. In der Folge hat sich der Käuferwettbewerb an den Immobilienmärkten deutlich verschärft, und vielerorts ist die mangelnde Verfügbarkeit von Objekten zum mit Abstand wichtigsten limitierenden Faktor für die Transaktionsvolumina geworden. Angesichts der starken Konkurrenz zwischen den potenziellen Käufern haben die Anfangsrenditen in den meisten für Investoren relevanten Segmenten und Teilmärkten spürbar nachgegeben. Für wachstumsorientierte und an Akquisitionen interessierte Unternehmen ist die Gefahr, eventuell zu teuer zu kaufen, damit deutlich größer geworden. Insofern lässt sich der Vorteil des leichteren Zugangs zu Kapital nur bedingt für Neuerwerbungen nutzen.
Des Weiteren können niedrige Fremdkapitalzinsen für Unternehmen aber auch ein Anreiz sein, ihre Investitionen mit relativ geringem Eigenkapitaleinsatz zu realisieren. Wirtschaftlich kann das durchaus sinnvoll sein. Denn solange der Fremdkapitalzins geringer ist als die mit der Investition erzielte Rendite, lässt sich der Leverage-Effekt nutzen, um durch Aufnahme eines höheren Fremdkapitalanteils die Eigenkapitalrentabilität signifikant zu steigern. Auch wenn das Equity-Investoren auf den ersten Blick freuen mag, birgt ein solcher Ansatz doch einige Risiken. Diese Risiken sind keineswegs nur theoretischer Natur und sollten daher nicht unterschätzt werden. Vielmehr können sie sich bereits bei weitaus weniger dramatischen Entwicklungen manifestieren, als es die Finanzkrise von 2007/2008 gewesen ist. Denn wer mit sehr geringem Eigenkapitaleinsatz in größerem Stil Immobilien erwirbt, verfolgt einen von mehreren Seiten her störanfälligen Businessplan.
Niedriger LTV schirmt gegen Markt- und Objektrisiken ab
Steigende Zinsen, größere Ausfälle von Mietern, Schwierigkeiten bei der Anschlussvermietung, unerwartete Aufwendungen für Sanierungs- oder Reparaturmaßnahmen und dergleichen mehr können ein in hohem Maße fremdfinanziertes Portfolio leicht in Schieflage bringen. Sogar dann, wenn die betreffenden Immobilien völlig unproblematisch und gut vermietet sind, kann es zu Problemen kommen, denn wenn die Marktwerte der Immobilien aufgrund der zyklischen Preisentwicklung am Markt oder eines externen Schocks unter Druck geraten, kann sich die Loan-to-value-Ratio (LTV) – das Verhältnis zwischen Fremdkapital und dem Marktwert der finanzierten Immobilie beziehungsweise des Immobilienportfolios – allein dadurch deutlich erhöhen. Dies wiederum kann bei entsprechenden Covenants, wie sie heute in vielen Finanzierungsverträgen Standard sind, dazu führen, dass die finanzierenden Banken zusätzliche Sicherheiten fordern oder womöglich gar Kredite fällig stellen.
All dies sind gute Gründe dafür, der Versuchung des billigen Geldes auch in der aktuellen Situation zu widerstehen und nicht alle Möglichkeiten der Fremdfinanzierung auszuschöpfen, um nicht eventuell später teuer dafür bezahlen zu müssen. Insbesondere die Kennzahl LTV sollten Immobilienunternehmen dabei fest im Blick behalten, denn sie eignet sich nicht nur, um verschiedene Immobilienunternehmen miteinander zu vergleichen, sondern ist auch eine wichtige unternehmerische Steuerungsgröße. Auch im aktuellen Umfeld ist es sinnvoll, einen LTV von unter 50 Prozent oder zumindest nicht nennenswert darüber anzustreben. Dies ist eine wichtige Säule für ein tragfähiges und nachhaltiges Geschäftsmodell. Immobilienunternehmen, die zu hoch fremdfinanzieren, riskieren dagegen, dass bei steigenden Zinsen irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem der Kapitaldienst den Ertrag der Immobilien übersteigt. Der verführerische Renditehebel verliert dann nicht nur seine positive Wirkung, sondern kann schlimmstenfalls sogar im negativen Sinne wirken.
Bei börsennotierten Gesellschaften kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Je höher der LTV ist, desto höher ist tendenziell auch der Abschlag auf den Net-Asset-Value (NAV), mit dem die Aktie an der Börse gehandelt wird. Es handelt sich somit faktisch um einen Risikoabschlag, der die Risiken einpreist, die für Aktieninvestoren mit einer höheren Fremdfinanzierung verbunden sind. Ein niedriger LTV ist deshalb erfreulich für die Aktionäre des Unternehmens, denn er unterstützt die Werthaltigkeit ihres Aktieninvestments. Darüber hinaus hat er auch eine gewisse Schutzwirkung gegen unerwünschte Übernahmen. Denn je geringer der Abschlag auf den NAV beziehungsweise je höher das Premium, desto teurer wäre eine Übernahme für einen potenziellen Interessenten.
Konservative Finanzierungsstruktur erweitert Finanzierungs- und Wachstumsmöglichkeiten
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich aus mehreren Gründen, auch dann auf eine konservative Finanzierungsstruktur zu achten, wenn Fremdkapital relativ leicht und zu besonders günstigen Konditionen zu beschaffen ist. Sie sichert zum einen nachhaltiges Wachstum und schirmt das Unternehmen in einem gewissen Maß gegen negative Effekte ab, die sich aus einem steigenden Zinsniveau, einer konjunkturellen Abkühlung, einem Preisrückgang am Immobilienmarkt und ähnlichen Entwicklungen ergeben und die sehr ambitioniert finanzierende Unternehmen empfindlich treffen können. Zugleich haben Unternehmen, die dank einer konservativen Finanzierungsstruktur und eines bewährten, nachhaltig erfolgreichen Geschäftsmodells eine hohe Bonität aufweisen, einen breiteren Zugang zu unterschiedlichen Kapitalgebern. So kommen auf der Fremdkapitalseite beispielsweise nicht nur Immobilienfinanzierer aus dem Bankensektor infrage, sondern auch institutionelle Investoren, die beispielsweise über Wandelschuldverschreibungen am Immobilienmarkt investieren wollen.
Insofern wird, auch wenn das auf den ersten Blick paradox klingen mag, gerade die Zurückhaltung bei der Fremdfinanzierung durch insgesamt bessere Finanzierungsmöglichkeiten belohnt. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Wer konservativ finanziert, muss sich deshalb auch im gegenwärtigen Marktumfeld keineswegs von seiner Wachstumsstrategie verabschieden. Vielmehr ist es durchaus möglich, auch unter den gegenwärtigen Bedingungen sein Portfolio sukzessive zu erweitern oder zu verjüngen. Denn Vorsicht ist vor allem beim Erwerb von Bestandsobjekten und -portfolios geboten, wenn diese nur noch mit geringen Anfangsrenditen erworben werden können und das Potenzial für künftiges Mietwachstum eher begrenzt ist. Werden die gesuchten Objekte für den weiteren Ausbau des Portfolios jedoch nicht als Bestand erworben, sondern als Neubauprojekte selbst entwickelt und nach der Fertigstellung in das eigene Portfolio übernommen, dann lässt sich auch unter den aktuellen Marktbedingungen noch ein Portfoliowachstum realisieren, das nicht durch Zugeständnisse bei der Objektqualität oder bei den Anfangsrenditen erkauft werden muss.
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Erstveröffentlichung: Immobilien und Finanzierung, Dezember 2016