Die grüne Revolution hat bereits begonnen. Immobilienbestandshalter müssen rasch Antworten auf Klimarisiken, eine erhöhte Regulierung und ein verändertes Anmietungs- und Investitionsverhalten finden.
Bereits vor Ausbruch von COVID-19 hat sich Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern darauf geeinigt, in Europa den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 40% gegenüber 1990 zu verringern. Die Bundesregierung gab für das Jahr 2050 das Ziel eines nahezu klimaneutralen Immobilienbestands aus, da der Gebäudesektor eine wesentliche Rolle zur Eindämmung der Erderwärmung spielt. Fast ein Drittel aller CO2-Emissionen und etwa 40 Prozent des Rohstoff- und Energieverbrauchs gehen weltweit auf das Konto von Gebäuden.
Wer glaubte, in der Zeit der Coronapandemie werden die Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union ausgesetzt, sieht sich geirrt. Das Gegenteil ist richtig. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und das Europäische Parlament haben sich im September 2020 noch ehrgeizigere Ziele gesetzt als bisher. Im Jahr 2030 soll der CO2-Ausstoß nun um 55 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Und die EU ist in ihrem Bestreben nicht mehr allein. Da Klima keine Grenzen kennt und die zügellose Brandrodung im Amazonasgebiet anhält, ist es umso bedeutender, daß China nun plant, vor 2060 die Kohlenstoffneutralität zu erreichen und sich ebenfalls für 2030 ambitionierte Ziele gesetzt hat.
Um ihre Ziele zu erreichen, verschärft die EU den Druck auf Wirtschaft und Finanzinvestoren. Im Rahmen der Offenlegungsverordnung wird Nachhaltigkeit (ESG) ein zentrales Kriterium der Pflichtkommunikation vieler regulierter Finanzakteure. Zudem hat vor wenigen Monaten die EU mit Unterstützung der RICS ihre Taxonomiekriterien eingeführt. Insgesamt versucht die EU im Rahmen ihres "Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums" Tätigkeiten festzulegen, die als „nachhaltig“ anzusehen sind. Das Finanzsystem soll umfassend umgestaltet werden, damit privates Kapital in nachhaltige Investitionen gelenkt werden kann. Bei Immobilien haben sich die Taxonomie-Experten bisher auf die Errichtung, den Erwerb und die Sanierung konzentriert. Ziel ist es, perspektivisch nur noch energiesparende und ressourceneffiziente Gebäude als zulässige, nachhaltige Anlagegegenstände zu klassifizieren. Dieser Punkt findet in der Immobilienwirtschaft bisher viel zu wenig Beachtung und stellt ein beträchtliches Risiko für die Werte der Immobilienanlagen dar.
Noch ist die Anwendung der Taxonomie freiwillig, wenn die Investments nicht explizit als nachhaltig qualifiziert werden. Aber um die Pariser Klimaziele zu erreichen und im Zuge der jüngsten Regulierungsdynamik kann es leicht geschehen, dass es zu einer Ausweitung der Regulierung kommt und Immobilien oder ganze Portfolien mangels Einhaltung dann konkreterer Taxonomiekriterien nicht mehr – oder nur mit erheblichem finanziellen Aufwand – handelbar sind. Nationale Gesetzesinitiativen zur umfassenden Energieeinsparung verstärken noch die Risiken für Projektentwickler, Investoren und Bestandshalter.
Es ist unschwer zu erkennen, welche Folgen im Rahmen zunehmender Regulierung für den Wert von Gebäuden entstehen können. Marktteilnehmer und Regulatoren sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten „Stranded Assets“ und meinen damit Immobilien, die dem Risiko einer frühzeitigen wirtschaftlichen Überalterung ausgesetzt sind, da sie Nachhaltigkeitskriterien, Klimarisiken oder den Anforderungen des Marktes – siehe auch Nachfrageverschiebungen durch die Coronakrise - nicht genügen.
Lag der Fokus der „EU-Taxonomie“ bisher noch nicht auf dem Bestand, so kann sich auch dies ändern. Denn gerade der Bestand kann einen ganz wesentlichen Teil zur CO2-Einsparung beitragen. Zudem ist es aus heutiger Sicht nicht unwahrscheinlich, dass die deutsche Regierung die jüngsten Brüsseler Klimazieleziele unterstützt und wie in der Vergangenheit im Rahmen nationaler Gesetzesinitiativen eher übererfüllt. Es sollte sich daher nicht darauf verlassen werden, dass der Bestand von Immobilieninvestments von weiteren Maßnahmen verschont bleibt.
Ein weiteres Feld potentieller Veränderung und daraus entstehender Unsicherheit wird den Markt ebenfalls berühren: Alle Gebäude beginnen mit einem Kohlenstoffdefizit aus den gewonnenen, hergestellten, gelieferten und installierten Materialien, sowie den Verbräuchen des Bauens. Je nach Quelle gehen bis zu 8% der globalen CO2-Emissionen allein auf die Zementproduktion zurück. Abriss und traditioneller Neubau sind per se weder nachhaltig, noch sind sie klimaeffizient. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Regulator auch in dem Bereich „Abriss und Neubau“ eingreift. Ein Blick über den Tellerrand verdeutlicht einen weiteren Aspekt der Problematik: Asien erlebt einen beispiellosen Bauboom. Nachrichten über Rohstoffknappheiten im Bausektor erreichen bereits auch Europa. So wundert es nicht, daß die EU als ein wesentliches Umweltziel den „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling“ anstrebt. So hat sie erst im Oktober die Intiative „Level(s) – European framework for sustainable buildings” gestartet. „Cradle to Cradle!“
Nicht nur in der Politik, auch bei vielen Investoren und Mietern hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Immer mehr institutionelle Anleger investieren nach den UN Prinzipien verantwortungsbewusster Investments (PRI). Nach Aussage von BlackRock zwingt zudem der Klimawandel Anleger, ihre zentralen Annahmen zur modernen Finanzwirtschaft zu überdenken. Investoren würden zunehmend erkennen, dass das Klimarisiko auch ein Anlagerisiko ist. All dies habe eine grundlegende Neubewertung von Risiken und Vermögenswerten zur Folge. Schon bald – und früher als von den meisten erwartet – werde es zu einer erheblichen Umverteilung von Kapital kommen, schlussfolgert der größte Vermögensverwalter der Welt. Eine aktuelle Studie von PwC unterstreicht die Dynamik: Bis 2025 werden ESG-Fonds 57% der Gesamt-Assets verwalten – dies bedeutet eine große Umschichtung der Geldanlage innerhalb weniger Jahre. Und so beabsichtigen folgerichtig die Allianz Versicherung und andere institutionelle Investoren, bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand aufzuweisen. Damit verstärkt sich schon heute allein daraus die Nachfrage nach nachhaltigen Immobilien - mit perspektivisch negativen Werteffekten für Objekte, die der Selbstverpflichtung der Investoren nicht genügen.
Hinzu kommt, das mehr und mehr gewerbliche Nutzer bei der Anmietung von Gebäuden auf Nachhaltigkeitsaspekte achten. Da gerade die Nutzung von Immobilien einen starken Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck von Corporates hat, scheiden zunehmend Gebäude als Firmensitz oder Produktions- und Lagerstätte aus, die aktuellen Nachhaltigkeitskriterien nicht entsprechen. Die Risiken für "nicht-nachhaltige" Assets steigen also auf mehreren Ebenen und sind somit superadditiv. Sie haben das Potential, die Herausforderungen aus der Pandemie zu übertreffen.
2030 und die für dieses Jahr verbundenen Klimaziele – das scheint noch in weiter Ferne zu sein - ist aber schon in 10 Jahren. Es empfiehlt sich daher für alle Akteure der bebauten Umwelt und insbesondere Bestandshaltern und -managern rechtzeitig Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Wer sich und seine Immobilien – seine Organisation, Produkte, Prozesse, Governance, Compliance, sein Risikomanagement - nicht rechtzeitig anpasst, wird zu den Verlierern zählen.
Ist ohnehin für jede Immobilie eine individuelle Objektstrategie angeraten, die den Namen auch verdient, so ist spätestens jetzt, als Teil davon, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Welche konkreten (Teil-)Schritte zu einer nachhaltigen Immobilie sind sinnvoll und notwendig? Welche Kosten werden damit ausgelöst, und wie kann die Balance zwischen jährlicher Dividende einerseits und langfristigem Werterhalt anderseits, gewahrt werden? Ein Dilemma für viele Anleger. Wie ist die Immobilie insgesamt im Markt zu positionieren? Wie auch immer die Antwort lautet, das Aufgabenspektrum im Immobilien-Bestandsmanagement erweitert sich nochmals. Die aktuelle Coronakrise, die beschleunigte Digitalisierung und Nachfrageveränderungen der Nutzer - wenn nun immer mehr Organisationen und Menschen ihre Aktivitäten vom physischen in den virtuellen Raum verlagern - machen die „Arbeit am Objekt und am Portfolio“ noch komplexer und herausfordernder. Zur Evolution einer Immobilie bedarf es damit auch einer Evolution des Real Estate Asset Managements.
Die neuen Instrumente im Handwerkskasten des gut aufgestellten Asset Managers sind heute bereits bekannt: Retrofitting, Zertifizierung, Nutzungsflexibilität, „Manage to Green“, Nutzungsänderung, Kreislaufwirtschaft,“Cradle to Cradle“, Embodied Carbon, Hybridbauten, grüne Mietverträge, Datenqualität, Biodiversität – sind nur einige davon. Reden ist einfach – handeln ist dagegen schwer: Es gilt mit einem interdisziplinärem Team von Experten die Buzzwords mit Leben zu erfüllen, und das möglichst schnell. Wer dies realisiert, wird aus den Risiken neue Chancen entwickeln und Wettbewerbsvorteile erzielen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Martin Eberhardt
Erstveröffentlichung: The Property Post, Dezember 2020