Warum die Absage an Sanierungspflichten langfristig keine gute Idee ist.
Im Gebäudebereich geht kaum etwas voran. Seit es in Deutschland das Bundes-Klimaschutzgesetz gibt, hat der Gebäudebereich ohne Ausnahme sein sektorspezifisches Klimaziel verfehlt – und zwar von Jahr zu Jahr deutlicher. Nun sprechen die langen Investitionszyklen von Gebäuden gegen kurzfristige Zielerreichungen. Allerdings braucht es gerade deshalb langfristige Signale. Hätte die Politik ihre Hausaufgaben gemacht, würde der Emissionshandel dieser Rolle durchaus gerecht werden. Die Verabredungen auf europäischer Ebene, den Wärmebereich in einem zusätzlichen Handelssystem mit einem CO2-Preis zu belegen, waren richtig. Sie folgen gedanklich einer Anreizpolitik, die über einen stetig aufwachsenden CO2-Preis dazu geführt hätten, dass Eigentümer und Investoren lieber in energetische Sanierung investieren als in einen dauerhaft teuren Betrieb. Doch das funktioniert nur über Preise, die irgendwann auch einmal wehtun. Die vorerst verabredete Deckelung des europäischen CO2-Preises bei 45 Euro je Tonne CO2 liegt sogar noch unter dem verabredeten Niveau des deutschen Brennstoffemissionshandels – Signalwirkung gleich Null. Der Emissionshandel funktioniert nur, wenn mit ihm eine Erwartung steigender Preise einhergeht. Die daraus generierten Einnahmen aus dem CO2-Handel hätte der Staat zugunsten von Härtefällen und Investitionsprogrammen wieder ausreichen können. Doch in Deutschland ist das so eine Sache, Gelder zielgerichtet auszureichen, womit ein zweites Problem adressiert ist. Das Bundesfinanzministerium hofft, in 2025 so weit zu sein, IBAN mit Steuernummer verknüpft zu haben. Ein Auszahlmechanismus ist das beileibe immer noch nicht. Also kam die EU-Gebäuderichtlinie gerade recht.
Faktisch war die Richtlinie im „Fit-for-55“-Paket gar nicht vorgesehen und sticht mit ihrem ordnungsrechtlichen Stachel in einer Weise heraus, dass sie geradezu Widerstand produzieren musste. Die Richtlinie wurde nachträglich veröffentlicht, weil aufgefallen war, dass der Gebäudebereich keine hinreichenden Signale erhalten hatte. Man könnte meinen, umso schärfer fiel in den Entwürfen auch das Ordnungsrecht aus – wenn man so will, gewissermaßen ein politischer Verzweiflungsakt, um der (vermeintlichen) Behäbigkeit des Immobiliensektors beikommen zu wollen.
Im politischen Diskurs verengte sich alles nur noch auf Sanierungspflichten
Obwohl die EU-Gebäuderichtlinie – im Kommissionsentwurf immerhin 79 Seiten stark – eine Fülle von Maßnahmen adressiert, von der neuen Definition eines Neubaustandards, der Einführung einer verpflichtenden THG-Lebenszyklusbilanzierung für große, neue Gebäude, eine PV-Pflicht und Anforderungen an die Elektromobilität – hat sich die Debatte im Kern doch an den Sanierungspflichten festgebissen. Im konservativen Sprachgebrauch wird in diesem Zusammenhang auch gerne von „Zwangssanierungen“ gesprochen, die in Deutschland bei Widersetzen in einer angeblich vorgezeichneten Pfadabhängigkeit in Vermietungsverbote gemündet wären.
Ausgangspunkt von Sanierungspflichten wären die Gebäudeausweise gewesen. Eine harmonisierte, EU-weit gleiche Skala von A bis G hätte den jeweils nationalen Gebäudebestand klassifiziert. An diesem hätten sich die Gebäude entlang ihres energetischen Zustands eingruppiert. Nach Vorstellungen des EU-Parlaments hätten die zu Wohnzwecken genutzte Bestandsobjekte der Gebäudeklassen E, F und G gestaffelt bis spätestens 2033 in die Klasse D modernisiert werden müssen. Das beträfe überschlagsweise rund ein Drittel des Wohnbestandes in Deutschland. Unnötig zu sagen, dass diese ordnungsrechtliche Vorgabe in die allermeisten Investitionszyklen bestehender Gebäude eingegriffen hätte.
Es wird keine Gebäudeausweise oder Sanierungspflichten im engen Sinne geben
Dieser letztlich überaus effiziente Ansatz, die energetisch schlechtesten Gebäude zuerst in Angriff zu nehmen („worst first“-Prinzip) ist im Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament bis zur Unkenntlichkeit verwaschen worden. Fortan soll eine ganz andere Systematik greifen. Gebäudeausweise wird es nämlich nicht geben. Stattessen sollen die energetisch schlechtesten 43 Prozent eines jeweils nationalen Gebäudebestandes modernisiert werden müssen. Wer hat das gewürfelt? Die Mitgliedstaaten wollen, dass diese ihren Primärenergieverbrauch bis 2030 um 55 Prozent senken. Über den gesamten Gebäudebestand – jeweils als nationale Betrachtung – soll der Primärenergieverbrauch bis 2030 um 20 bis 25 Prozent sinken. (Die Zahlen sind freilich noch nicht final verhandelt und können sich daher noch verschieben).
Im Umkehrschluss heißt das Folgendes: 57 Prozent, also mehr als die Hälfte der deutschen Gebäude, werden gar nicht erst primär regulatorisch adressiert. Wenn das IW Köln Recht hat und der Einbau einer Wärmepumpe erst ab der Gebäudeklasse D wirklich Sinn macht, versetzt man schlicht die Hälfte erst gar nicht in die Lage für klimaschonende Technologien. Wenn man ein Gebäude schon anfasst, sollte es nach der Sanierung mehr können müssen als nur die Hälfte seiner CO2-Emissionen im Betrieb zu senken. Denn andernfalls müsste bereits nach zehn Jahren schon wieder in den Lebenszyklus eingegriffen werden, weil sich keines dieser Gebäude auch nur annähernd auf dem Pfad der Klimaneutralität befindet.
Und das Scheitern setzt sich fort: Kein „neuer“ Neubaustandard, der sich vom GEG-Referenzgebäude merklich unterscheidet; keine THG-Lebenszyklusbetrachtung, um die graue Energie zu berücksichtigen; keine PV-Pflicht, die eine Verschmelzung von Energie und Immobilie in innovativen Geschäftsmodellen befördert hätte; nicht einmal einheitliche Gebäudeausweise werden Standard. Welchen Sinn hat diese Richtlinie noch?
Ferner hat die Bundesregierung es versäumt, auf EU-Ebene für den Quartiersansatz zu werben. Das EU-Parlament musste das nachholen. Doch ob wenigstens der Quartiersansatz den Trilog überlebt, ist offen.
Die Folgen der abgeschwächten Richtlinie sind heute schon erkennbar
Man kann von scharfem Ordnungsrecht halten, was man will und man kann durchaus der Ansicht sein, dass die überaus scharfen Sanierungspflichten entlang von Gebäudeklassen kaum wirtschaftlich hätten umgesetzt werden können – obwohl das vermutlich stark in Abhängigkeit zu setzen ist mit der jeweiligen Gebäude-/Quartierssituation vor Ort. Faktisch sorgt Ordnungsrecht aber auch für Klarheit. Unternehmen, die nach Rechtssicherheit und Verlässlichkeit rufen, erhalten mit dem Ordnungsrecht genau das. Investoren erhalten eine Planbarkeit, weil sie wissen, was von den Objekten der Zukunft politisch erwartet wird.
Um zum Anfang zurückzukehren: Wirtschaftlicher wäre die Planbarkeit und das gewünschte Ergebnis sicher über den gut funktionierenden Emissionshandel gelungen, wenn man diesen mit flankierenden Maßnahmen versehen hätte. So oblag es der Gebäuderichtlinie, für die notwendige Klarheit zu sorgen. Daran wird die Politik wohl nun scheitern. Klarheit und Verbindlichkeit, die den Gebäudesektor ein Stück näher an die Klimaneutralität bringt, ist nicht (mehr) zu erwarten.
Und das hat Folgen: Die – wenn man es scharf formulieren will – Untätigkeit auf regulatorischer Seite verkürzt die Zeitschiene bis zum selbst gesteckten Ziel der Klimaneutralität. Das bedeutet, dass die heute nicht ergriffenen Maßnahmen im Sinne ambitionierter Vorgaben für den Gebäudebereich nur dazu führen werden, dass ab der 2030er Jahre die Vorgaben nur umso schärfer, umso härter, umso teurer ausfallen werden – und zwar dann egal, ob mit Ordnungsrecht oder mit Anreizpolitik.
In der Anreizpolitik würde der Emissionshandel in zehn Jahren so reformiert werden müssen, dass in der verbliebenen Zeit die handelbaren Zertifikate im Wärmemarkt nur umso knapper sind. Entlang von Angebot und Nachfrage dürfte der CO2-Preis dramatische Preissprünge nach oben erfahren. Die Ordnungspolitik in zehn Jahren wird dann nicht mehr über eine 65-Prozent-Vorgabe an Erneuerbare Energien sprechen, sondern mindestens eine 80-Prozent-, wenn nicht gar 100-Prozent-Vorgabe machen müssen. Ob das die Planbarkeit und das Wunschszenario von Eigentümern und Investoren ist, darf eher bezweifelt werden. Wer also heute die Entschärfung der Entwürfe zur neuen EU-Gebäuderichtlinie feiert, sollte sich zumindest auf die 2030er-Jahre vorbereiten.
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Erstveröffentlichung: Tagesspiegel Background Energie & Klima, November 2023