Mietverträge für flexible Nutzungen statt für Fläche und Lage
Weg von der reinen Flächenbetrachtung, hin zur Nutzenoptimierung durch flexible und digitale Modelle - das ist die Zukunft der Immobilienbewirtschaftung, insbesondere im gewerblichen Bereich. Die Rechtsanwälte Christian Schede und Johannes Steinfort beleuchten mögliche Entwicklungen bei der vertraglichen Gestaltung dieser Modelle. Profitsharing, Untervermietung on Demand und das Ende des langfristigen Mietvertrags sind einige ihrer Stichworte.
Dass sich unsere Arbeits- und Lebenswelten durch die Digitalisierung rapide verändern und noch weiter verändern werden, ist mittlerweile eine triviale Erkenntnis. Die besondere Herausforderung besteht nicht nur darin, schon heute vorherzusehen, was sich morgen verändern könnte. Vielmehr zeigt der Umstand, dass disruptive Innovationen regelmäßig von branchenfremden Dritten angestoßen werden, die natürlichen Grenzen für "Disruption aus eigener Kraft".
Dennoch legt die Immobilienbranche nicht die Hände in den Schoß, sondern stellt sich vor allem auf zwei Megatrends ein, die man bereits aus anderen Branchen kennt: Flexibilisierung und Digitalisierung, oft eingebettet in eine Sharing Economy. Airbnb, Uber, Carsharing in Großstädten und die zunehmende Anzahl von Coworking-Anbietern sind hier nur die bekanntesten Beispiele (vgl. "Arbeiten in der Nische", IZ 33/2016).
Die Wahrnehmung und Vermarktbarkeit von Immobilien ist seit jeher im Wesentlichen durch die Faktoren Lage und Flächenqualität geprägt. Die Wertschöpfung aus einer Immobilie vollzieht sich heute noch weitgehend "analog". Künftig wird als dritter Faktor die digitale Qualität eine zentrale Rolle spielen. Wie sich in anderen Branchen schon erwiesen hat, wird dies auch die Strategien zur optimalen Wertschöpfung aus der Immobilie verändern: weg von reiner Flächenbetrachtung, hin zur Nutzenoptimierung. Die entscheidende Frage lautet dann: Wie lässt sich mit einer bestimmten Fläche, für bestimmte Nutzer, für einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum der größtmögliche Nutzen generieren? Und wie lassen sich diese Potenziale vertraglich möglichst umfassend ausschöpfen?
So selbstverständlich und einfach es ist, die Miete an eine feste Flächengröße und eine möglichst lange Laufzeit zu knüpfen, so unflexibel muss dies all jenen erscheinen, die in der Immobilienbranche disruptives Veränderungspotenzial suchen. Eine provokative These, die heute immer häufiger zu hören ist, lautet: Langfristige Mietverträge mit starren Flächenkonzepten sind ein Auslaufmodell. Denn auch die Vermieter müssen sich auf die veränderte Nachfrage einstellen. Flexible On-Demand-Verfügbarkeit von Flächen kombiniert mit einem immer bunter werdenden Strauß von datenbasierten Servicedienstleistungen ist dem Mieter von morgen etwas (mehr) wert. Das Flächenangebot wird durch datengetriebene Bewirtschaftung mit Echtzeitdaten und Big Data ergänzt, wobei die Vernetzung und Nutzung von Daten über zentrale Plattformen erfolgen wird.
In der Zusammenschau rückt eine flexible und datengetriebene Bewirtschaftung über individuelle, datenbezogene On-Demand-Nutzung in den Mittelpunkt. Einnahmen werden nach dieser Vision zukünftig immer weniger aus langjährigen Verträgen mit starren Flächenkonzepten generiert, sondern zunehmend aus der flexiblen Verfügbarkeit von digital optimierten Flächen. Dass die genaue Erfassung und Auswertung von Verbrauch und Bedarf zum Beispiel eine Nebenkostenabrechnung in Echtzeit ermöglicht und das Untervermietungspotenzial kalkulierbarer macht, ist nur ein Aspekt. Diese Entwicklungen könnten dazu führen, dass flexibel und digital optimiert gemanagte Einzelhandels- und Büroflächen höhere Umsätze als die traditionelle Vermietung generieren.
Um die Potenziale rechtlich umfassend auszuschöpfen, bedarf es intelligenter Vertragsgestaltungen. Mietverträge werden künftig noch stärker auf das konkrete Nutzungs- und Bewirtschaftungsmodell maßgeschneidert sein und müssen "atmende" Regelungsmechanismen vorsehen. Die Verknüpfung von Flächennutzung und digitalen Dienstleistungsangeboten wird voraussichtlich einen Vertrag sui generis, also einen im Gesetz nicht vorgesehenen Vertragstypus, hervorbringen. Die nach Umfang und Laufzeiten unterschiedlichen Nutzungsvarianten in einer Immobilie müssen auch in eine kohärente Vertragsarchitektur eingebettet werden.
Anmietungs- und Sonderkündigungsrechte sind heute noch für viele Vermieter unwillkommene Ausnahmen vom Grundsatz der langjährigen Vermietung starr festgelegter Flächen. Die steigende Nachfrage nach mehr Flexibilität bei der Vergrößerung und Verkleinerung der Mietflächen wird komplexer strukturierte Miet- und Sonderkündigungsrechte erfordern. Damit wird zugleich eine Rückanbindung beziehungsweise Abstimmung mit dem Bedarf der übrigen und zukünftigen Mieter notwendig. Der Vermieter wird sich dabei ebenfalls Flächenoptionen vorbehalten, die es ihm ermöglichen, bestimmte Flächen bedarfsgerecht mit der jeweils geeignetsten Nutzung und somit der höchsten Miete zu verbinden. Elemente von strukturierter Preisfindung und von Bieterverfahren zwischen bestehenden und zukünftigen Nutzern sind durchaus vorstellbar. Wichtig ist, vertraglich die richtigen Anreize zu schaffen und Effektivität und Akzeptanz sicherzustellen, zum Beispiel durch Profitsharing.
Das Thema Untervermietung wird stärker in den Vordergrund rücken. Das Zustimmungserfordernis des Vermieters zur Untervermietung - heute gängiger Standard - wird künftig zunehmend zurückgefahren. Die höhere Flexibilität wird ihren Preis haben. Untervermietungszuschläge oder andere Formen des Profitsharings werden immer häufiger anzutreffen sein. Für echtes Coworking wird jedoch zunehmend gar nicht mehr auf die gesetzliche Gestaltung der Untervermietung zurückgegriffen. In der Praxis werden dann mietvertragstypische Nutzungsregeln mit umfassenden IT-Lösungen sowie Büro- und weiteren Servicepaketen verknüpft. Auf diese Modelle passt das klassische (Unter-) Mietrecht schon lange nicht mehr.
Die feste, langjährige Mietzeit wird zukünftig flexibleren Modellen weichen. Dabei wird die Bedeutung von Vertragsaufhebungszahlungen (break fees) und deren Ausgestaltung steigen. Spiegelbildlich werden aber auch Mietanreiz (tenant incentives), wie etwa Baukostenzuschüsse und mietfreie oder -reduzierte Zeiten, nicht mehr nur bei Vertragsabschluss relevant sein. Sie werden auch für das laufende Mietverhältnis anreizoptimiert ausgestaltet, etwa zeitlich gestaffelt oder mitwachsend, abhängig von Flächen und Laufzeiten. Um die zeitliche Nutzenoptimierung entsprechend zu steuern, bedarf es auch hier richtiger Anreize durch strukturierte und anpassungsfähige Regelungen.
Umsatzmieten und andere Formen der Beteiligung an über Flächen generierten Umsätzen werden stärker in den Vordergrund treten. Die höhere Flexibilität in Bezug auf Flächen und Laufzeiten wird sich in höheren Mieten pro Zeit und Fläche widerspiegeln. Das flexiblere Wechselspiel zwischen Flächen, Laufzeiten, Mieten, Mietanreizen und Vertragsaufhebungszahlungen wird zu komplexeren Rentabilitätskalkulationen führen und passende Vertragsregelungen erfordern.
Was Nutzer mit flexiblen Bedarfslagen freuen wird, ist für Banken und langfristige Investoren ein Graus. Ein Mehr an Flexibilität in den Nutzungsverträgen erhöht das Risikoprofil für Finanzierer und Anleger. Die Anforderungen an einen traditionell bankfinanzierbaren Mietvertrag (bankable lease) werden durch "Kurzfrist- und Flexmodelle" natürlich nicht erfüllt. Es wird spannend sein, wie Entwickler, Langfristinvestoren und Finanzierer auf die veränderte Nachfrage seitens der Nutzer reagieren werden. Weil das Mehr an Flexibilität für die Nutzerseite mit einem Mehr an Risiko für alle Spieler auf der Angebotsseite einhergeht, werden flexiblere Nutzungsmodelle ihren Preis haben - ob beim Bau, beim Kauf oder bei der Finanzierung.
Um diese divergierenden Interessen abzufedern, wird es sich vielfach anbieten, einen neuen Typus "Generalmieter" dazwischenzuschieben. Dieser bietet Investoren und Finanzierern die gewohnte langfristige Stabilität und den künftigen Kurzfrist- oder Flexkunden neben Flächen auch das "digitale Rundum-sorglos-Paket" an. In der Vertragspraxis mutiert der Generalmieter vom passiven Zwischenvermieter zum aktiven Anbieter, Manager und Dienstleister rund um Büro- und Einzelhandelsflächen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Greenberg Traurig Germany LLP
Erstveröffentlichung: Immobilien Zeitung, September 2016