Urbane Identifikationsräume in Ballungszentren
Städte weltweit sind im kontinuierlichen Wachstum begriffen. In Deutschland liegt der so genannte Urbanisierungsgrad, also der Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung, jetzt bereits bei rund 75 Prozent. Damit gerade die Ballungszentren im Bundesgebiet attraktive und lebenswerte Gebiete bleiben, müssen urbane Identifikationsräume geschaffen werden: Quartiere mit vielfältiger Nutzung und gemischter Bevölkerung. Für Investoren und Projektentwickler wird Kompetenz in der Quartiersgestaltung daher zunehmend zum wichtigen Faktor der Wettbewerbsfähigkeit.
Die anhaltende Beliebtheit der Städte weltweit wirft neue Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft auf. Aktuell leben nach Erhebungen der Vereinten Nationen (UN) bereits über 52 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, 1950 waren es noch knapp 29 Prozent. Bis 2050 wird ein Anstieg auf rund 69 Prozent erwartet. Aufgrund des bereits in der Vergangenheit hohen Verstädterungsgrades werden die Städte Europas von dieser Migrationswelle weniger betroffen sein als andere Kontinente. Doch auch die Zahlen in Deutschlands Metropolen sprechen eine deutliche Sprache: Im Zeitraum von 2006 bis 2016 nahm die Einwohnerzahl der sieben größten Städte des Bundesgebietes um durchschnittlich 9,6 Prozent zu. Allein Frankfurt am Main verzeichnete ein Plus von 16 Prozent, auch München wuchs um 14,9 Prozent. Dieses Wachstum geschah ohne Eingemeindungen. Es ist eindeutig, dass dieser Trend Strategien einer geordneten Stadtentwicklung einfordert, um die Attraktivität unserer Städte nicht zu gefährden. Denn es ist nicht nur die Konzentration von Arbeitsplätzen, die die Anziehungskraft der Ballungsgebiete ausmacht. Daneben existiert ein urbanes Lebensgefühl, das eine Angebotsvielfalt und bestimmte Formen von Nachbarschaft umfasst. Es kristallisiert sich im Quartier, das zum emotionalen Bezugsraum wird und somit Identifikation stiftet.
Da Quartiere sich insbesondere durch Aneignung und Gestaltungsmöglichkeiten auszeichnen, können sie nicht mit Verwaltungseinheiten gleichgesetzt werden. Viertel oder Bezirke erreichen in den meisten Fällen bereits Größen, die über den Alltagsraum ihrer Bewohner hinausgehen. Darüber hinaus können sie eine sehr heterogene Bebauung und Nutzung aufweisen, die Identifikation erschwert oder gar ausschließt. Fußläufigkeit und Abdeckung der Alltagsbedürfnisse bilden daher das Fundament jeder Quartiersdefinition. Dies impliziert eine Mischnutzung, die die verschiedenen Alltagsaktivitäten Wohnen, Konsum, Freizeit und fallweise auch Arbeiten umfasst. Die Kombination verschiedener Bereiche im Quartier ist auch ein Gebot ökologischer Nachhaltigkeit: Kurze Wege bilden den Leitgedanken intelligenter urbaner Entwicklung, da sie eine übermäßige Autonutzung ebenso wie eine Überforderung des öffentlichen Personenverkehrs vermeiden. Tatsächlich hat nach Erhebungen des Bundesverkehrsministeriums seit dem Jahr 2002 kein Fortbewegungsmittel größeren Zuwachs erfahren als das Fahrrad, gefolgt vom Gehen zu Fuß und dem Bus.
Quartiere phasenweise konzipieren
Jede Quartiersplanung beginnt mit der Berücksichtigung vorhandener Elemente im Entwicklungsareal. Durch die Flächenknappheit in den deutschen Ballungsgebieten sind Quartiersentwicklungen mit Bestandsintegration häufiger als Entwicklungen auf der grünen Wiese. Bestandsintegration ist nicht nur in architektonischer Hinsicht zu verstehen, sondern umgreift ebenso die angrenzende Wohnbebauung und Sozialstruktur. Hierbei geht es um die Planung urbaner Räume, die sich harmonisch in das städtische Gesamtgefüge einbetten. Die Aufnahme lokaltypischer Kubatur, Materialien und Formensprache bietet architektonischen Mehrwert und erleichtert in der Regel die Kommunikation mit den Genehmigungsbehörden am jeweiligen Standort. Es ist ein Glücksfall für die Projektentwicklung, wenn hervorgehobene historische Gebäude das Quartiersareal auszeichnen. Flächenkonversionen rund um ehemalige Fabriken, Kasernen oder Krankenhäuser sind daher für Quartiersentwicklungen besonders geeignet. Das Bestandsgebäude bildet dann den Kern der Entwicklung und steht sinnbildlich für das gesamte neue Quartier. Ausgehend von diesem Mittelpunkt kann die räumliche Ansiedlung der verschiedenen Nutzungseinheiten von Wohnen über Gewerbe bis Kultur weiter geplant werden. Für die abschließende Vermarktung bildet der historische Bestand eine geeignete Basis und schafft bestenfalls frühzeitig eine Identifikation der künftigen Bewohner mit ihrem Quartier.
Aus Erfahrungswerten abgeschlossener Projekte ergibt sich, dass rund drei Viertel der Nachfrage nach neuem Wohnraum aus angrenzenden Gebieten stammen. Für eine genaue Bedarfsermittlung bietet sich daher bereits in der Planungsphase eine Anwohnerbefragung an. Durch sie lassen sich Daten zur Kauf- oder Mietbereitschaft erheben, ebenso zu nachgefragten Größen und der bevorzugten Zimmerzahl. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang das Image einer Quartiersentwicklung. Zwar bleiben Lage und Kosten der Immobilien die entscheidenden Kriterien auf Nachfrageseite. Aber die Imageerfassung bietet die Gelegenheit, die Bebauung und Nutzung den vor Ort bestehenden Auffassungen anzupassen. Frühere Nutzungen eines Quartiers, wie beispielsweise eine Arbeitersiedlung oder Künstlerkolonie, können zum bestehenden Image beitragen, ebenso aber auch hervorgehobene, dort ansässige Institutionen wie Vereine oder Bildungseinrichtungen. Bestandsanalysen ermöglichen ein passgenaues Angebot für die Nachfrager und vermeiden frühzeitig potentielle Kritik in Form von Gentrifizierungsdebatten oder Anwohnerbeschwerden.
Drei Aspekte effizienter Quartiersentwicklung
In einem 2014 veröffentlichten Positionspapier zur nachhaltigen Quartiersentwicklung nennt der Branchenverband ZIA drei Aspekte, die die Richtschnur für die Planung und Realisierung neuer Quartiere darstellen: Standortqualität, Prozessqualität und Kommunikation. Sie stimmen als übergeordnete Kategorien mit den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) überein, die einen Prüfkatalog für die Zertifizierung nachhaltiger Stadtquartiere erstellt hat. Zur Standortqualität zählt neben der bereits erwähnten Berücksichtigung der gegebenen Struktur auf Viertels- oder Bezirksebene die Einbettung in gesamtstädtische Leitbilder. Es empfiehlt sich für Projektentwickler und Investoren, einen Quartiersplan zu erstellen, der sich an bestehenden Masterplänen der Stadtverwaltung anlehnt. Hierbei sind beispielsweise auch bestehende Vorgaben für die Gestaltung von Beleuchtung und Sitzmöblierung aufzunehmen.
Prozessqualität umfasst in erster Linie eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Projektparteien. Kooperation mit den Genehmigungsbehörden schließt beispielsweise die Bereitschaft der immobilienwirtschaftlichen Akteure ein, Projektmanager für die Antragsbearbeitung in der kommunalen Verwaltung zu finanzieren. Eine solche Maßnahme ist im Rahmen städtebaulicher Verträge explizit genannt. Auf Entwicklerseite ergeben sich Vorteile durch kürzere Projektzeiten und eine planungsgetreue Umsetzung. Die Einhaltung der vorab definierten Projektphasen muss auf beiden Seiten, sowohl bei Entwicklern als auch Behörden, durch die Geschäftsführung bzw. das Oberbürgermeisterbüro erfolgen. Nur so können Kompetenzgerangel und Planungsänderungen zum Wohle der Quartiersentwicklung effektiv reduziert werden. Eng verbunden mit der Prozessqualität ist das Feld der Kommunikation: Es ist zielführend, über die gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung hinaus die Projektbeteiligten aktiv einzubinden und regelmäßig zusammenzuführen. Dies schließt auf Entwicklerseite auch Finanziers und ausführende Bauunternehmen mit ein. Ihre jeweilige Expertise kann entscheidend zum Gelingen des Gesamtprojekts beitragen. Gegenüber der Öffentlichkeit haben sich Mitgestaltungsforen wie Bürgerwerkstätten bewährt. Wer sich schon in der Planungsphase aktiv in die Gestaltung seines künftigen Zuhauses einbringt, wird auch später ein maßgeblicher Faktor zur Schaffung einer lebenswerten Atmosphäre im Quartier sein.
Gestaltungselemente städtischer Quartiere von heute
Kommunikation ist auch in der Betriebsphase des Quartiers ein zentrales Kriterium. Für einen breiten Austausch bedarf es einladender, öffentlicher Flächen. Attraktive Sitzgelegenheiten tragen hierzu ebenso bei wie Liegewiesen, Springbrunnen oder kleine Weiher. Unter den Gewerbemietern sollten sich gastronomische Angebote finden, die in erster Linie Lebhaftigkeit und Publikumsverkehr garantieren. Zur Förderung ehrenamtlicher Initiativen können Räume für eine temporäre Nutzung bereitgestellt werden. Daraus entstehende Nachbarschaftshilfen oder Straßenfeste tragen wesentlich zur Identifikation mit dem Quartier bei.
Die Präsenz mehrerer Generationen und unterschiedlicher Einkommensgruppen führt zur sozialen Durchmischung. Sie ist kein Modekriterium urbaner Entwicklung, sondern ganz entscheidend zur Vermeidung geschlossener städtischer Einheiten mit homogenen Milieus. Städte gefährden ihre Dynamik und Attraktivität, wenn sie ihre integrative Wirkung verlieren und nur noch die Summe von milieubezogenen Partikularsiedlungen darstellen. Wenn das Quartier die Stadt im Kleinen abbildet, dann muss es sich folglich durch Offenheit auszeichnen – räumlich und sozial. Projektentwickler erreichen diese Offenheit durch die Konzeption von Wohnungen für spezielle Gruppen wie Senioren oder Familien. Ebenso bieten sich Kooperationen mit öffentlichen Wohnungsunternehmen an, die in vielen kommunalen Gesetzesordnungen ohnehin vorgesehen sind. Durch die Vielfalt beteiligter Projektparteien entstehen Quartiersentwicklungen, die durch ihre klare Nutzerorientierung einen Mehrwert generieren. Im Sinne nachhaltiger Entwicklung kann dies zwar höhere Anfangsinvestitionen auf Entwicklerseite generieren, hebt jedoch auch langfristige Wertschöpfungspotenziale.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Instone Real Estate Group
Erstveröffentlichung: Immobilien & Finanzierung, Januar 2018