In Anbetracht vieler gleichzeitig aufgetretener und einander überlappender Krisen scheint die EU-Taxonomie zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Berichterstattung der Medien auch in der Immobilienwirtschaft etwas in den Hintergrund gerückt zu sein. Der Schein indes trügt. Tatsächlich nämlich und in der täglichen Praxis des Immobiliengeschäfts führt an den Kriterien der EU-Taxonomie kein Weg (mehr) vorbei. Im Gegenteil. Überall auf der Welt wächst die Sorge um die Zukunft des Planeten Erde und die damit verbundene Frage nach der Reduktion schädlicher Emissionen im globalen Immobilienbestand im Allgemeinen und bei jeder einzelnen Immobile im Besonderen. Als Analyseinstrument von besonderer Relevanz in diesem Zusammenhang: die ESG-Due-Diligence.
Ergänzung bekannter Arbeitspakete
Due Diligence, auf Deutsch „Sorgfaltspflicht“, ist eine auch im deutschen Recht verankerte Pflicht zur Sorgfalt im unternehmerischen Betrieb. In der sogenannten Due-Diligence-Prüfung wird ein Unternehmen auf seine Sorgfalt im Blick auf wirtschaftliche, rechtliche, steuerliche und finanzielle Aspekte analysiert. In jüngerer Zeit wird der klassische Transaktionsprozess (Financial, Tax, Legal, Technical Due Diligence) in der Immobilienwirtschaft um einen neuen Baustein erweitert. Die relativ neue Disziplin ESG-Due-Diligence (ESG DD) ergänzt die altbekannten Arbeitspakete. Die spezielle ESG DD in der Immobilienwirtschaft bezieht sich auf die Beschaffenheit einer Immobilie unter umweltspezifischen beziehungsweise ökologischen Nachhaltigkeitsgesichtspunkten (E) sowie sozialen (S) und organisatorischen (G) Aspekten. In einer entsprechenden Prüfung wird die Immobilie einer Sorgfalts-Analyse unter ESG-Aspekten unterzogen. Beispielsweise analysiert die ESG DD die Immobile im Rahmen einer Immobilientransaktion vor dem Hintergrund der herrschenden Regulatorik sowie der Strategie, die sich ein Unternehmen gegeben hat. Im Rahmen der Analyse bewertet die ESG DD, inwieweit das Objekt oder Projekt zum einen Taxonomie-konform ist und zum anderen in die Unternehmensstrategie passt. Die Ergebnisse haben unmittelbar Auswirkungen auf Kaufpreise, Capex-Bedarf, Financial Modeling und damit einhergehende Klauseln im Kaufvertrag.
ESG am Finanzierungsmarkt
Am Finanzierungsmarkt zeigt sich, dass ESG zu besseren Finanzierungskonditionen führt. Die ESG DD kann entweder als Voranalyse, um einen Prozess zu starten, oder spätestens als Teil des allgemeinen Due-Diligence-Prozesses neben den anderen Disziplinen laufen. Die Pflicht zur Durchführung einer ESG DD ergibt sich für Unternehmen des Finanzdienstleistungssektors aus den Vorgaben der EU-Gesetzgebung hinsichtlich der Transparenz bei der Einbeziehung der Nachhaltigkeitsrisiken. Unternehmen können ähnliche Kriterien auch in ihrer Strategie verankern und somit eine Selbstverpflichtung zur Due Diligence auslösen.
Aus Sicht des Käufers hilft die Due Diligence, Informationsasymmetrien auch hinsichtlich der eher „weichen“ Faktoren zu beseitigen. ESG richtet sich unter anderem bekanntlich an „weichen“ Kriterien aus und adressiert daher auch die daraus resultierenden „weichen“ Risiken, beispielsweise Reputationsrisiken. Solche Reputationsrisiken können sich etwa aus der Nichteinhaltung von Arbeitsstandards in Unternehmen der Lieferkette ergeben oder auch aus Protesten von Anwohnern im Hinblick auf den Bau einer spezifischen Immobilie. Diese weichen Faktoren können harte finanzielle Auswirkungen sowie auf die Wertermittlung des Gebäudes haben. Aus den Ergebnissen der ESG DD können sich insbesondere ein Anpassungsbedarf im Kaufpreis und die Abschätzung eines zukünftigen Capex-Bedarfs ergeben.
Am Markt ist darüber hinaus erkennbar, dass die Kreditgeber ihre Kriterien bei der Kreditvergabe erweitern. Die Beantwortung der Frage, ob eine Immobilie auch aus ESG-Gesichtspunkten geprüft wurde, schlägt sich in angepassten Finanzierungskonditionen nieder. Für in Deutschland tätige Kreditgeber empfiehlt die Bafin, bei der Kreditvergabe auch den Aspekt Nachhaltigkeit zu berücksichtigen, sodass dadurch auch zukünftig die Nachfrage nach ESG-konformen Immobilen eine immer wichtigere Rolle spielen wird.
Grundsätzlich kann man den Kreis derer, die eine ESG DD durchführen, zweiteilen. Zum einen gibt es die Unternehmen, die sich selbst im Rahmen ihrer Geschäftspolitik mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt und dies als strategisches Element kodifiziert haben (Wer kann?). Zum anderen gibt es Unternehmen, die seit März 2020 per EU-Offenlegungsverordnung gezwungen sind, sich mit den Thema auseinanderzusetzen (Wer muss?), und für die es daher geboten ist, die ESG DD durchzuführen, um den geforderten Nachweis zu erbringen, dass sie sich ernsthaft mit der Nachhaltigkeitsthematik beschäftigt haben. Im Ankauf und Bestand ist die Durchführung der ESG DD ein probates Mittel, um den geforderten Nachweis hinsichtlich der Transparenzkriterien hinreichend berücksichtigt zu haben. Im Bestandsportfolio dient die Due Diligence dazu, im Nachhinein diesen Nachweis der Auseinandersetzung führen zu können. Im Ankauf stellt die ESG DD als Teil des Screenings und Transaktionsprozesses sicher, dass die Konformität mit der Offenlegungsverordnung auch bei weiteren Zukäufen gewahrt bleibt.
Stranded Assets
Neben den Aspekten Capex, Kreditkonditionen und Kaufpreisanpassungen gibt es einen weiteren Aspekt, von dem ausgegangen werden muss, dass er im Laufe der Zeit immer relevanter werden wird. Dies ist der Aspekt der „Stranded Assets“: Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels können derzeit noch funktionsfähige Immobilien im Zeitablauf aus verschiedenen Gründen nicht mehr benutzbar sein. Diese Gründe sind zum Beispiel Wirbelstürme, Flutkatastrophen oder Waldbrände. Der Anstieg des Meeresspiegels kann dazu führen, dass Immobilien in Küstenregionen bei einer geringen Erhöhung des Meeresspiegels im wahrsten Sinne des Wortes untergehen. Allesamt Gesichtspunkte, die eine ESG DD analytisch umfassend berücksichtigt und bewertet.
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Erstveröffentlichung: Haufe.de, Januar 2023