Nachverdichtung und intelligente Gebäudeplanung
Die „Stadt der kurzen Wege“ ist das neue Leitbild von Stadtplanern, Forschern und Politikern und auch die ausführende Immobilienwirtschaft erkennt die Vorteile dieses Konzepts an. Auch wenn die Forderung, Distanzen zu verkürzen, nicht neu ist, so haben sich durch Digitalisierung, Urbanisierung und gesellschaftlichen Wandel die Vorzeichen geändert, auf die alle im Prozess der Wohnraumschaffung Involvierten reagieren müssen.
Stadtplanung steht nie still, sondern muss sich laufend weiterentwickeln. Gut, wenn es in diesem dynamischen Prozess Einigkeit gibt – so wie in der aktuellen Fachdebatte über die sogenannte „Stadt der kurzen Wege“, die eigentlich nur Befürworter hinter sich vereint. Die Politik wünscht sich lebendige, gut durchmischte Quartiere und einen geringeren CO₂-Ausstoß, der durch kürzere Distanzen und ein in das Wohnquartier implementiertes Mobilitätskonzept ermöglicht wird. Die Bevölkerung zieht es – unter anderem aufgrund der kurzen Wege und des größeren Angebots – in die Städte. Der Urbanisierungstrend ist im Prinzip nicht mehr aufzuhalten. Verschiedene Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2030 in Deutschland rund 80 Prozent der Menschen in Städten leben werden. Gleichzeitig verzichten immer mehr – gerne und bewusst – auf das eigene Auto, wenn es ihre Umgebung und das Mobilitätsangebot erlauben. Und nun ist auch die realisierende Immobilienwirtschaft mit an Bord. Hier muss man ehrlicherweise erwähnen, dass noch vor wenigen Jahren Single-Use-Konzepte vorherrschend waren und Asset-Klassen ungern vermischt wurden. Die Verwertung, beispielsweise die Überführung eines Objekts in einen Immobilienfonds, gestaltete sich leichter, wenn man etwa nur Büroflächen errichtete. Auch in der Verwaltung ist es bis heute schwierig(er), unterschiedliche Rechtsformen in einem Objekt zu vereinen. Der gesellschaftliche Nutzen von gemischten Quartieren und dadurch auch die höhere Attraktivität für ihre Nutzer haben mittlerweile Immobilieninvestoren zu einem Umdenken gebracht. So sind Mixed-Use-Modelle, also etwa die lebendige Mischung von Wohnraum mit Büro- und Geschäftsflächen, oft in Kombination mit innovativen Konzepten wie Co-Working-Spaces, heute ein wichtiger Trend. 2016 titelte Savills bereits: „Die Mischnutzung wird salonfähig“. Der gesellschaftliche Wandel mit einem Ineinandergreifen von Wohnen und Arbeiten beflügelt diese Entwicklung. Die Herausforderungen bleiben aber, weshalb Mixed-Use sehr treffend in einem kürzlich in diesem Magazin erschienenen Fachaufsatz als „die Königsdisziplin der Immobilien-Developer“ bezeichnet wurde. Hinzu kommt, dass zur konsequenten Umsetzung der guten Idee und Nutzerwünsche eine Anpassung der derzeitigen gesetzlichen Regelungen notwendig ist. Reliquien, wie zum Beispiel die TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm), stammen aus dem städtebaulichen Leitmotiv der absoluten Funktionstrennung im Lebensraum Stadt und müssen zeitgemäß angepasst werden.
Dorthin gehen, wo Infrastruktur wartet
Als einer der größten Wohnentwickler Deutschlands ist Instone Real Estate mitten drin in dieser Entwicklung. Auch wenn unser Hauptfokus auf der Assetklasse Wohnen liegt, so spielt die Gesamtbetrachtung aller Assetklassen und das Zusammenspiel in einer Quartiersentwicklung eine wichtige Rolle bei unseren Projekten. Aus der Historie heraus hat Instone eine große Kompetenz bei der konzeptionellen Neuordnung alter Nutzungs- und Baustrukturen. Diese sind aufgrund ihrer Vorgeschichte schon meist in ein dynamisches Umfeld mit guter ÖPNV-Anbindung eingebettet. Der Erfolg der „Stadt der kurzen Wege“ entscheidet sich also bereits bei der Wahl des Projektentwicklers auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück. Geht man auf die grüne Wiese oder nimmt man sich den Herausforderungen eines bestehenden Objekts an, das durch Umbaumaßnahmen einer neuen Bestimmung zugeführt wird. Ein aktuelles Beispiel von Instone ist das Projekt „Marie“ in Frankfurt, bei dem ein ehemaliges Krankenhaus zu Wohnraum wird. Auf dem Areal errichtet unser Unternehmen u.a. zwei Kindertagesstätten – eine davon in einem ehemaligen Schwesternwohnheim. Viele weitere Instone-Wohnprojekte beinhalten Kindertagesstätten und ähnliche Angebote, die den Eltern unter den zukünftigen Bewohnern kurze Wege ermöglichen werden. Ein anderes Beispiel: In Leipzig entwickelt Instone in einem leerstehenden ehemaligen Theater Wohnungen im denkmalgeschützten Altbau. Auch hier ist aufgrund der Historie des Gebäudes die Einbettung in ein dynamisches Umfeld bereits geschaffen. Das Projekt wird aber nicht nur Wohnungen beinhalten, sondern auch einen hauseigenen Fitnessbereich. Nach Feierabend müssen die Bewohner für das Work-out also nicht mehr das Haus verlassen.
Ehemals Krankenhaus - heute attraktiver Wohnraum inkl. Kindertagesstätte: Das Projekt ,,Marie" in Frankfurt. Copyright: Instone Real Estate
Das Problem mit den Speckgürteln
Der ETH-Professor und Architekt Kees Christiaanse, der zu nachhaltigem Wohnen forscht, sagte in einem Interview: „Kurze Distanzen führen zu nachhaltigen Lebensstilen.“
Insgesamt beobachten wir bei den Eigennutzern unter unseren Kunden, dass der Wunsch zu Einfamilienhäusern und zum Leben in den Vorstädten abgeflacht ist. Auch wer es sich leisten kann, bevorzugt immer mehr die geräumige Innenstadtwohnung anstelle des Einfamilienhauses und gerade die ältere Generation zieht es nun auch verstärkt in die innenstadtnahen Lagen. Bei Menschen mit eingeschränkter Mobilität spielen die kurzen Distanzen zu Nahversorgern oder zu kulturellem Angebot eine noch größere Rolle. Dennoch wachsen die Speckgürtel der Metropolen aufgrund des Platzmangels und der hohen Preise in den Städten. Als Wohnentwickler kann man sich der Bewegung in Richtung der Speckgürtel zwar nicht entziehen, weshalb Instone beispielsweise ein neues Projekt in Norderstedt im Hamburger Umland akquiriert hat. Allerdings ist Norderstedt historisch gewachsen und besitzt eine gute Infrastruktur und ÖPNV-Anschluss, vor allem an die naheliegende Metropole Hamburg. Es ist eine wichtige Verantwortung eines Bauträgers, gemeinsam mit politischen Entscheidungsträgern eine Stadt nicht wahllos in die Breite wachsen zu lassen, sondern dorthin zu gehen, wo es bereits eine funktionierende Infrastruktur und ein ÖPNV-Netz gibt. Der „Berliner Siedlungsstern“, ein zwischen Berlin und Brandenburg ausgearbeitetes Ausdehnungskonzept entlang der S-Bahn-Strecken, ist eines dieser Positivbeispiele, denen Wohnentwickler auch folgen sollten.
Deutschland weiterhin Pendler-Land
Woran sich trotz aller Bemühungen wenig zu ändern scheint, sind die langen Wege, die Menschen hierzulande täglich zu ihrem Arbeitsplatz beschreiten müssen. Deutschland ist ein Land von rund 11 Millionen Pendlern – jeder vierte berufstätige Deutsche ist laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung jeden Tag mehr als eine Stunde von und zur Arbeitsstelle unterwegs. Hier scheint kein Wandel in Sicht, auch wenn uns die Digitalisierung in immer mehr Berufen ein Arbeiten von überall ermöglicht, eine vernetzte Welt in der Kommunikation die kurzen Distanzen bereits Realität hat werden lassen und die SPD sogar das „Recht auf Home Office“ fordert. Eher sieht es danach aus, als würde der digitale Wandel die Fluktuationsquote in deutschen Jobs weiter in die Höhe treiben. Aktuell wechseln deutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt alle zehn Jahre die Arbeitsstelle – dies dürfte in Zukunft häufiger ausfallen. Rund 4,5 Mal in seinem Leben wechselt jeder Deutsche durchschnittlich laut einer Studie des Immobilienportals Immonet den Wohnort. Dies allerdings mehrheitlich aus privaten, nicht aus beruflichen Gründen. Wie weit Zuhause und Arbeit voneinander entfernt liegen, ist also oft eher Zufall, als eine bewusste Entscheidung.
Bleiben die Wege zur Arbeit also lang, sollten Entscheidungsträger im Wohnbau unbedingt dafür Sorge tragen, dass die Entfernungen der Bewohner zu Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, Nahversorgern und zu Freizeiteinrichtungen überschaubar bleiben bzw. diese Angebote idealerweise in eine Quartiersentwicklung bereits integriert sind. Dort wo ausgedehntere Mobilität notwendig ist, muss die Digitalisierung Mobilitätskonzepte unterstützen – beispielsweise in Form einer Kombination im Wohnquartier von Leihfahrrädern, Carsharing und Infoscreens im Wohnhaus mit den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel.
Es hat sich die Regel etabliert, dass Haltestellen nicht weiter als 200 Meter von einem Wohnobjekt entfernt liegen sollten. Je besser die Anbindung, desto leichter die Vermarktung einer Wohnimmobilie und desto positiver die Auswirkungen auf den Immobilienwert. Auch andere Trends wie Delivery sollten Wohnentwickler verstärkt in ihre Planung aufnehmen. Paketboxen im Wohnhaus könnten um gekühlte Gemeinschaftsboxen zur Zwischenlagerung frisch angelieferter Lebensmittel erweitert werden.
Blick in die Vergangenheit
Interessanterweise war die „Stadt der kurzen Wege“ bereits ein Leitbild der Stadtplanung der 1980er Jahre. Auch damals gab es eine Bewegung, die geringere Distanzen durch dichtere Bebauung, mehr Fußgänger- und Radfahrerangebote, weniger Automobilverkehr und dadurch weniger Umweltbelastung forderte. Den Trabantenstädten der 1950er bis 1970er Jahre und den gescheiterten Visionen selbst großer Planer wie Le Corbusier oder des deutschen Architekten Hans Bernhard Reichow mit ihren Konzepten einer „autogerechten Stadt“ sollte ein Gegenpol geschaffen werden. Die Konzepte der 1980er Jahre waren zwar nur teilweise realisierbar, ihre Ideen leben aber weiter.
Eine Weiterentwicklung dieser städtebaulichen Bewegung ist der „New Urbanism“ aus den USA Anfang der 1990er Jahre. Die unkontrollierte Zersiedelung und damit einhergehende Ausbreitung des Individualverkehrs sollte durch ein Rückbesinnen auf das Urbane, durch verdichtete Bauweise, eine lebendige Nachbarschaft und Fußgängerfreundlichkeit aufgehalten werden. Ausläufer des „New Urbanism“ gab es auch in Europa und Deutschland, durch die historisch gewachsenen Städte und anderen topografischen Voraussetzungen war hier die Problematik der Zersiedelung und unkontrollierten Verbreiterung von Wohngebieten allerdings nie so präsent wie in den Vereinigten Staaten.
Wir sollten uns mit diesen Bewegungen und ihren Erkenntnissen dennoch intensiver beschäftigen, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Denn auch heute noch sehen wir Metropolen, die relativ planlos in die Breite wachsen und immer dickere Speckgürtel produzieren, wo gleichzeitig Möglichkeiten der Nachverdichtung in den Stadtzentren ungenutzt bleiben.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Instone Real Estate Group AG
Erstveröffentlichung: polis, März 2019