19.11.2018

Der unerkannte Flächenmangel

Ein Blick auf die Defizite im Markt für Büroimmobilien

Morten Hahn, Geschäftsführender Gesellschafter, Dr. Lübke & Kelber GmbH
Morten Hahn

Mitte September versammelten sich die Bundeskanzlerin, mehrere Bundesminister und Ministerpräsidenten sowie die Vertreter von Immobilien- und Mieterverbänden auf dem Wohngipfel. Dabei stand eine Frage klar im Fokus: Wie kann der Wohnungsneubau angekurbelt werden, um dem anhaltenden Flächenmangel in den Großstädten Herr zu werden und die Mieter nicht zu stark finanziell zu belasten? Stellen Sie sich einmal dasselbe Szenario auf einem Bürogipfel vor. Absurd? Nur auf den ersten Blick! Während die Debatte um die anhaltende Wohnraumknappheit allgegenwärtig ist, wird der ebenso eklatante Büroflächenmangel meist übersehen.   

Wie schwer es für Unternehmen mittlerweile ist, eine geeignete zusammenhängende Fläche zu finden, zeigen auch die Zahlen: In den fünf größten deutschen Bürostädten sind die Leerstände im dritten Quartal 2018 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum nochmals um 0,8 Prozentpunkte zurückgegangen. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung in der Bundeshauptstadt. Mit einer Leerstandsrate von 2,4 Prozent herrscht faktisch Vollvermietung – selbst vor dem Hintergrund, dass doppelt so viel Fläche fertiggestellt wurde wie noch vor einem Jahr. Ähnlich angespannt ist der Vermietungsmarkt in Hamburg mit 3,0 Prozent, und auch in Frankfurt – einem Markt, der traditionell für seinen hohen Anteil an unvermietbaren Büroflächen bekannt ist – ist der Leerstand im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Fünftel zurückgegangen. Mehr und mehr Mieter scheinen also aus der Not heraus Abstriche zu machen – nicht zuletzt bei der Flächenqualität.

Der Flächenmangel gefährdet das Wachstum der betroffenen Unternehmen

Es wundert nicht, dass die Mietpreise geradezu explodiert sind. Die Durchschnittsmieten sind in Berlin im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ganze 11,4 Prozent gewachsen. Auch in den sogenannten B-Standorten, also Städten wie Dresden, Nürnberg oder Hannover, erleben wir ähnliche Entwicklungen.

Vor einigen Jahren noch wurden Mieter mit Incentives wie einem kostenlosen Umzug oder drei Monaten Mietfreiheit für neue Büroflächen gelockt. Standardmäßig wurden Fünfjahresverträge mit Option auf weitere fünf Jahre geschlossen, und ein langfristiger Mietvertrag galt auch für den Investor als Sicherheitsfaktor. Inzwischen hat sich dieses Bild komplett gewandelt, Vermieter wollen sich heute oft nicht mehr langfristig an einen Mieter binden. Schließlich sorgt die Mietpreisentwicklung dafür, dass sie ihre Flächen zu für sie vorteilhafteren Konditionen neu vermieten können. Dass einem Bestandsmieter zugunsten eines Interessenten einfach gekündigt wird, ist ebenfalls kein Einzelfall mehr.

Die hohe finanzielle Belastung und die fehlende Planungssicherheit sind allerdings nicht das Kernproblem für Unternehmen. Vielmehr wird der wirtschaftliche Aufschwung dadurch gefährdet, dass kein weiteres Wachstum möglich ist und neben dem Fachkräftemangel auch die Flächenknappheit dafür sorgt, dass wichtige Aufträge nicht angenommen oder neue Geschäftszweige erschlossen werden können. Ein Paradebeispiel hierfür ist der mittelständisch geprägte Großraum Stuttgart, der einen generellen Mangel an Gewerbeflächen aufweist – vom Büro über die Produktionsstätte bis hin zur Lagerhalle.

Nicht alles hängt von der Immobilienbranche ab

Obwohl die Neubautätigkeit seit einigen Jahren deutlich angestiegen ist, ist das Problem teilweise hausgemacht: Um die Jahrtausendwende herum erwiesen sich zahlreiche neu errichtete Bürogebäude als Fehlinvestment, die Flächen standen teilweise lange Zeit leer. Daher wurde in den späteren 2000er Jahren kaum spekulativ entwickelt: Wer nicht wenigstens einen Teil seiner Flächen vorvermieten konnte, ließ sich nicht darauf ein, größere Büroprojekte mit 20.000 Quadratmetern Nutzfläche oder mehr zu realisieren – mit Ausnahme der Finanzmetropole Frankfurt, die auch heute noch vergleichsweise „gesunde“ Leerstandsraten aufweist.

Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, dieses Zögern der Investoren als einzige Ursache für den Büroflächenmangel zu nennen – genau wie das steigende Interesse der Anleger die angespannte Situation nicht allein lösen kann. Neben den Finanzierern, die durch zunehmende gesetzliche Restriktionen gebunden sind, stellen auch die Kommunen einen maßgeblichen Faktor dar. Schließlich sorgt die Debatte um Wohnraumknappheit dafür, dass sie bei der Flächenvergabe unter großem öffentlichem Druck stehen. Wo sowohl eine Entwicklung als Bürokomplex oder Wohnsiedlung sinnvoll wäre, erfordert es Mut, sich für die Büros zu entscheiden. Dennoch sollten Kommunalverwaltungen auf eine gesunde Durchmischung der Nutzungskonzepte in den Städten achten – und sowohl in den Innenstädten als auch in der Umgebung die Entwicklung von neuen Büroflächen gezielt fördern. Ansonsten drohen Schlafstädte, und die Anwohner müssen lange Verkehrswege und verstopfte Straßen in Kauf nehmen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Oder anders gesagt: Wenn zu wenige Büroflächen in einem Stadtteil entwickelt werden, sinkt paradoxerweise letztlich die Wohnqualität.

Mischnutzungen als Kompromiss

Wenn die deutsche Wirtschaft weiterhin so kräftig wachsen soll wie bisher, muss den Unternehmen die Chance gegeben werden, dieses Wachstum auch flächenmäßig abzubilden. Hierfür ist eine engere Zusammenarbeit zwischen der Politik und der Immobilienbranche nötig – selbst, wenn es wahrscheinlich niemals zu einem Bürogipfel kommen wird. Einen realistischen Kompromiss sehe ich in der verstärkten Umsetzung von Mischnutzungskonzepten: Werden Bürotrakte und Wohnungen im selben Immobilienkomplex vereint und durch einen Einzelhändler oder Gastronomen im Erdgeschoss ergänzt, können nicht nur die unterschiedlichen Flächennachfragen gleichmäßiger abgedeckt werden. Gleichzeitig verkürzen sich die Wege und das jeweilige Viertel gewinnt an Vielseitigkeit – was übrigens auch als wichtiges politisches Ziel in der Leipzig-Charta verankert ist. Aufgabe der Immobilienbranche wiederum ist es, den Kommunalverwaltungen intelligente Konzepte vorzuschlagen und beratend tätig zu werden, wie sich auf den begrenzten innerstädtischen Baugrundstücken möglichst viele Interessen unter einen Hut bringen lassen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Dr. Lübke & Kelber GmbH
Erstveröffentlichung: Wirtschaftswoche, April 2018

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