26.04.2016

Das große Baukosten-Pingpong

Politik schafft Korsett

Carsten Sellschopf, COO, Instone Real Estate
Carsten Sellschopf

Die Wohnungswirtschaft soll durch kosteneffizientes Bauen mehr klimafreundlichen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Doch die Politik dreht an zu vielen Stellschrauben und vereitelt so das gewünschte Ziel. Normen und Standards sind sinnvoll und Qualität am Bau braucht Regeln. Doch kein Korsett, das lähmt.

Über Jahre galt die Wohnungswirtschaft als langsamste und langweiligste Immobiliendisziplin. Zu wenig Rendite, zu wenig Dynamik. Diese Zeiten sind vorbei. Nur die Wandlung vom Mauerblümchen zur Superstar, von der Schnecke zum Sprinter vollzog sich von vielen unbemerkt. Es war einfach nicht vorstellbar, dass in einem Land, in dem alles im Überfluss vorhanden ist, ein großflächiger Nachfrageüberhang auftauchen könnte. Selbst als die ersten Anzeichen sichtbar wurden, nahm sie kaum jemand wahr. Fast nach dem Motto: Stell Dir vor, in den Großstädten herrscht Wohnungsknappheit und keiner kriegt’s mit. Inzwischen sind alle hellwach und das Thema Wohnungsbau ist zum viel beachteten Zankapfel zwischen Parteien, Verbänden, Stadtplanern und der Immobilienwirtschaft avanciert. Warum? Weil die Märkte regional immer weiter auseinanderdriften. Während in Schrumpfungsregionen und Randlagen überholte Bestände zurückgebaut werden müssen, herrscht in den großen und wirtschaftlich gut aufgestellten deutschen Städten Wohnungsknappheit. Bodenrichtwerte, Mieten und Kaufpreise brechen nicht nur in München, Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf oder Stuttgart immer neue Rekorde. Auch Städte wie Regensburg, Münster, Bonn, Wolfsburg, Kiel oder Köln profitieren von steigenden Einwohnerzahlen, werden aber der vielen Wohnungsnachfrager kaum noch Herr. Eine Entspannung der Lage erwarten Experten nicht, im Gegenteil. Städte mit florierenden Arbeitsmärkten und attraktiven Ausbildungslandschaften werden sich auch künftig auf Einwohnerzuwächse einstellen müssen. Dies hat Folgen für den Wohnungsmarkt, denn steigende Nachfrage führt zu steigenden Mieten und Kaufpreisen. Das ist zunächst ein simples marktwirtschaftliches Prinzip. Doch weil Wohnen ein elementares Bedürfnis und die Versorgung mit Wohnraum ein gesellschaftlicher Auftrag ist, steht das Thema „Bezahlbarer Wohnraum“ derzeit weit oben auf der politischen Agenda.

Vater Staat fordert bezahlbaren Wohnraum.....
Und alle fragen sich: Wo kommen eigentlich plötzlich die hohen Mieten her? Zu viele Wohnungsbewerber in den Großstädten können kaum alleinige Preistreiber sein, denn Wohnen wird auch in der Provinz immer teurer. Schon eine einfache Zeitungslektüre zeigt: Die Diskussion um die Kosten wird in Deutschland nicht sachlich geführt. Eine jüngst vom Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA) in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage zum Wohnungsmarkt deckte etliche Missverständnisse zwischen Immobilienwirtschaft und der breiten Öffentlichkeit auf. Auch und gerade in Bezug auf steigende Preise. So glaubt die Öffentlichkeit beispielsweise zu mehr als zwei Dritteln, dass die Mieten aufgrund von Gewinnabsichten der Vermieter steigen. In Wirklichkeit erhöhen sie sich nur dort, wo es Wohnungsknappheit gibt. Bei der Beurteilung der Mietkostentreiber hinkt die Öffentlichkeit den Fakten ebenfalls hinterher. So glaubt laut Forsa immer noch jeder Vierte, dass die Nettokaltmieten stärker steigen als die Nebenkosten. Tatsächlich sind die Nebenkosten (Betriebskosten, Heizungs- und Stromkosten) in Deutschland seit 2010 im Schnitt um 14 Prozent gestiegen, die Mieten lediglich um 5,4 Prozent. Gleichzeitig sind nur 47 Prozent der befragten Bürger davon überzeugt, dass staatliche Bürokratie und Vorschriften den Wohnungsbau verteuern. Aus Sicht der Immobilienwirtschaft dagegen sind Auflagen wie die ENEV, Regulierungen, Bürokratie, steigende Grundstückspreise und Steuern maßgeblich für die Kostenexplosion verantwortlich.

Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Wohnungsentwickler, wenn Bauen immer komplexer und teurer wird? Wie identifiziert man die wahren Kostentreiber und wie geht man mit ihnen um? Wie kann man unter solchen Bedingungen den politischen Auftrag erfüllen und mehr Wohnungen bauen und dazu noch in einem wirtschaftlich vertretbaren Zeit- und Kostenrahmen? Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen zwei Gruppen. Da wären zunächst die Kostentreiber, die man nicht beeinflussen kann. Dazu rechnen wir Gesetze, Regulierungen, Auflagen, Abschreibungen und die allgemeine Bodenpreisentwicklung. Diese Faktoren müssen in die Projektplanung integriert und entsprechend kalkuliert werden. Einfluss nehmen können Bauherren grundsätzlich auf die Bau- und Planungskosten. Doch die Gestaltungsräume werden hierbei immer kleiner, weil der Staat immer höhere Hürden setzt. So kommt es zu einem Paradoxon: Zwar ist die Immobilienwirtschaft aufgerufen, den demografischen Wandel zu bewältigen und zugleich durch Sanierung und Neubau mehr klimafreundliche und bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Gleichzeitig haben Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren durch Gesetze, Verordnungen, Auflagen, Steuern, Material- und Energiesparanforderungen selbst an der Preisspirale gedreht und so den Wohnungsbau massiv verteuert.

.... und lässt die Kosten explodieren
Eindrucksvolle Zahlen dazu liefert die aktuelle Studie „Kostentreiber für den Wohnungsbau“ der Arbeitsgemeinschaft für Zeitgemäßes Bauen e.V. Für die Auswertung wurde eine bundesweite Umfrage unter 370 Wohnungsunternehmen zu abgerechneten Bauprojekten durchgeführt. Die Ergebnisse sind alarmierend: So sind allein die Baulandpreise zwischen 2000 und 2014 in Deutschland um rund 27 Prozent gestiegen. Noch kräftiger kletterten im gleichen Zeitraum die Gestehungskosten mit einem Plus von 40 Prozent. Die Studie weist auf Basis eines Typen-Mehrfamilienhaues mit 12 Wohnungseinheiten nach, dass die Neubaukosten pro Quadratmeter Wohnfläche von 2.209 Euro im Jahr 2000 auf 3.080 Euro im Jahr 2014 gestiegen sind. Dies entspricht einem Zuwachs um 39,4 Prozent beziehungsweise 161.000 Euro je Wohneinheit. Die Studie liefert zudem eine Auswertung der vier zentralen Kostentreiber. Da wären zunächst die Bauwerks- und Planungskosten, in die ordnungsrechtliche Anforderungen wie etwa Brand- und Schallschutz, Energieeffizienz, Barrierefreiheit oder auch Schnee-, Sturm- und Erdbebensicherheit einfließen. Diese haben sich seit dem Jahr 2000 um 426 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche erhöht, ein Plus von 19 Prozent. Eine Sonderrolle bei den Kostentreibern nimmt die Energiesparverordnung ein (EnEV) ein, die im Untersuchungszeitraum immerhin viermal novelliert wurde und zu einem Anstieg der Bau- und Planungskosten um 6,5 Prozent geführt hat. Mit der nächsten Novellierung, die am 1.1.2016 in Kraft tritt, kommen nochmals 7,3 Prozent an Mehrkosten hinzu. Aber auch baurechtliche und steuerrechtliche Vorgaben von Bund und Ländern haben die Gestehungskosten seit 2000 schrittweise - um 11,2 Prozent oder umgerechnet 248 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche - ansteigen lassen. An dritter Stelle rangieren die stetig steigenden Grundstückskosten. Wer heute einen Quadratmeter Bauland erwirbt, zahlt im Schnitt 115 Euro mehr als 2000. Dies entspricht einem Plus von mehr als fünf Prozent. Kommunale Auflagen für Investoren, Hauptkostentreiber Nummer vier, schlagen mit einem Kostenanstieg von 3,7 Prozent oder 82 Euro pro gebautem Quadratmeter Wohnfläche zu Buche. Fazit der Studie: Der Staat schreibt zu viel vor, erhebt zu viele Steuern, macht das Bauen für Investoren unrentabel und Neubauwohnungen für Nutzer zu teuer.

Selbst für schlanke Kosten sorgen
Das stimmt soweit, ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Denn wenn sich das Entwicklergeschäft gar nicht lohnen würde, gäbe es keinen Wohnungsneubau in Deutschland. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. So wurde 2014 in Deutschland der Bau von rund 284.900 Wohnungen genehmigt. Das waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 5,4 Prozent oder knapp 14.500 Wohnungen mehr als im Jahr 2013. Damit setzte sich die im Jahr 2010 begonnene positive Entwicklung weiter fort. Von den im Jahr 2014 genehmigten Wohnungen waren knapp 246.000 Neubauwohnungen in Wohngebäuden (plus 4,5 Prozent gegenüber 2013). Dieser Zuwachs resultierte ausschließlich aus dem Anstieg von Baugenehmigungen für Wohnungen in Mehrfamilienhäusern (plus 8,8 Prozent beziehungsweise plus 10.400 Wohnungen) und dem Anstieg von Baugenehmigungen für Wohnungen in Wohnheimen (plus 31,6 Prozent beziehungsweise plus 2.550 Wohnungen). Dagegen gab es Rückgänge bei den Genehmigungen für Einfamilienhäuser (minus 1,4 Prozent) und Zweifamilienhäuser (minus 5,8 Prozent).

Es wurde in den vergangenen Jahren demnach so viel neu gebaut wie seit Jahren nicht, wie die Zahlen zeigen. Demnach haben es Bauherren auch selbst in der Hand, Einsparpotenziale zu identifizieren, Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Einsparpotenziale ergeben sich – vor allem in angespannten Märkten – zum Beispiel durch eine optimale Grundstückausnutzung. „Verdichtetes Bauen“ ist vor allem in den Großstädten ein Riesenthema. Oftmals zeigt sich, dass man breiter, dichter und höher bauen kann, wenn man die Grenzen des Baurechts intelligent auslotet und in Einzelfällen – im Schulterschluss mit den lokalen Bauverwaltungen – sogar verschiebt. Grundrisse lassen sich heute zudem hocheffizient gestalten ohne Einbußen für den Bewohnerkomfort. Hält man beispielsweise die Verkehrsflächen niedrig, können 80 Quadratmeter gut und gerne wie 100 Quadratmeter wirken. Gerade in den Großstädten wird der Wohnflächenverbrauch pro Kopf in Zukunft sinken und sich damit internationalen Standards anpassen.

Erhebliches Einsparpotenzial ergibt sich zudem durch Standardisierung und Rationalisierung der Prozesse und Produkte. Die Unikatbauweise ist ein Auslaufmodell, das teuer und ineffizient ist. Bei einem hohen Produktionsoutput lassen sich immer Prozess- und Produktsynergien identifizieren und umsetzen. Was keinesfalls Uniformität bedeutet. Mit modularer Bauweise und Standard-Details lassen sich heute Gebäude errichten, die von Innen und Außen komplett anders aussehen. Und die sich zudem kinderleicht umbauen lassen. Denn der gewünschten Kosteneffizienz von Bauherrenseite steht von Nutzerseite Flexibilität als neues Credo gegenüber: Was heute als Wohnzimmer dient, soll sich in ein paar Jahren in einen Fitnessraum umfunktionieren lassen und das Kinderzimmer in ein Büro. Grundrisse und Funktionen sollen sich den Lebensstilen und Lebensstationen der Nutzer anpassen können. Das ist machbar und wird auch bei formart berücksichtigt. In Hamburg planen wir zum Beispiel mit der „Neuen Mitte Altona“ ein weiteres Projekt mit flexiblen Wohnkonzepten für verschiedene Käufergruppen. Die Vorbereitungen für den Baubeginn der 150 Eigentumswohnungen im Herbst 2015 laufen bereits.

Aus Hickhack und Pingpong wird Lose-Lose
Konterkariert werden die prinzipiell vorhandenen Einsparpotenziale mitunter aber durch die lokalen Regelwerke, mit denen vor allem die Großstädte den Wohnungsbau ankurbeln und die Mieten in Schach halten wollen. Doch sie bewirken oft nicht, was politisch gewollt wird. So geben sie Bauherren vor, was, wie, in welchem Umfang und zu welchem Endpreis in ihrem jeweiligen Wohnungsmarkt gebaut werden darf. Die Unterschiede zwischen diesen Anforderungen sind gewaltig. Standardisierungen bei den Produkten und Prozessen – und damit Kosteneinsparungen - lassen sich dadurch bundesweit nur schwer umsetzen. Vorreiter in diesem Beritt ist München. Mit der „Sozialgerechten Bodennutzung“ (SoBoN) hat die bayerische Landeshauptstadt bereits 1994 ein Maßgabenkatalog auf den Weg gebracht, der Planungsbegünstigte an den Kosten und Lasten ihrer Bauvorhaben beteiligt. Sie ist Bestandteil sämtlicher Bebauungsplanverfahren und somit nicht nur für Wohnungsentwickler bindend. Hamburg gründete 2011 das „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“. Die Vereinbarung zwischen Senat, Verbänden der Wohnungswirtschaft und SAGA GWG unter Beteiligung der Mietervereine beinhaltet konkrete Maßnahmen und Zielsetzungen für eine sozialverträgliche Weiterentwicklung des Hamburger Wohnungsmarktes – für den Investor ein enges Korsett. Düsseldorf legte 2013 mit dem „Handlungskonzept Wohnen“ nach. Ziel ist auch hier, dass Wohnraum bezahlbar bleibt.

Doch nach dem politischen Wechsel an der Stadtspitze wird über den richtigen Weg dorthin gestritten. So sieht das Konzept bei Wohnbauprojekten bislang eine verpflichtende Quote von 20 Prozent für öffentlich geförderten Wohnraum und weitere 20 Prozent im „preisgedämpften“ Bereich mit Mieten bis zu 8,50 Euro pro Quadratmeter vor. Diskutiert wird nun, ob der preisgedämpfte Teil abgeschafft und dafür die Quote für sozial geförderten Wohnraum auf 30 Prozent erhöht wird. Zuletzt zog Berlin mit dem „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ nach und setzte die Quote für den preisgebundenen Wohnraum auf 25 Prozent fest. Zu viele Regelwerke senken die Kosten beim Bauen nicht. Zu viele Ad-hoc-Veränderungen schaden noch mehr, weil sie laufende Investitions-, Kosten- und Finanzierungspläne gefährden. Aus politischem Hickhack entsteht ein Pingpong bei den Kosten und eine Lose-Lose-Situation für alle Beteiligten.

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Erstveröffentlichung: gif im Fokus 2/2015