28.05.2015

Bürgerbeteiligung

Bei nahezu jedem Projekt fordern Bürger ein Mehr an Information und Mitsprache.

Dr. Marc Weinstock, ZIA-Präsidiumsmitglied und Geschäftsführer, DSK | BIG BAU-Unternehmensgruppe
Dr. Marc Weinstock

Bürgerbeteiligung ist derzeit ein hochaktuelles Thema – auch und vor allem im Bereich der Stadtentwicklung. Bei nahezu jedem Projekt fordern Bürger ein Mehr an Information und Mitsprache. Für Investoren wie zum Beispiel Projektentwickler, aber auch die Verwaltung oder die politischen Gremien bedeutet dies ein zunehmendes Maß an Unsicherheit und Mehraufwand bis hin zur Verzögerung oder sogar zur Ablehnung von Projekten. Auch aus diesem Grund fordern Verwaltungen und Politik von den Investoren in zunehmendem Maß ein professionelles Informations- und Beteiligungsmanagement der Bürger. Um diese tatsächlich auch zu erreichen stellt sich die Frage: Wer und was treibt den bürgerlichen Protest heute?

Was treibt den bürgerlichen Protest heute?

Seit Beginn der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben sich vor allem junge Leute und häufig Studenten für oder gegen bestimmte Themen eingesetzt. Seinerzeit waren es Inhalte von (welt-)politischer Bedeutung, oftmals getragen von der Friedens- und Umweltbewegung. Diese Proteste setzten sich in den siebziger und achtziger Jahren fort unter Stichworten wie Abrüstung, NATO Doppelbeschluss etc. Heute hingegen sind es oftmals andere Themen, die die Bürger auf die Straße bringen. Es geht um Umgehungsstraßen, Autobahnen, Stromtrassen, Start- und Landebahnen und Bahnhöfe. Aber auch städtische Entwicklungen wie beispielsweise der vielfach umstrittene Bau von Shopping Centern oder auch die Erschließung von Freiflächen sind Themen, die die Bürger bewegen. Obwohl formal richtig beschlossen, entscheiden sich immer mehr Bürger, gegen diese Projekte mobil zu machen oder anders ausgedrückt: Auch was legal ist wird von vielen nicht mehr als legitim empfunden. Dies äußert sich häufig in einer “Dagegen- Haltung”.

Das bedeutet kein Abrücken der Bürger von der Demokratie. Eine im Februar 2013 gemeinsam von der Herbert Quandt Stiftung, der Stiftung Zukunft Berlin sowie Infratest dimap veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Deutschen die Demokratie grundsätzlich für eine gute Regierungsform halten – aber nur 56 Prozent der Befragten waren zufrieden oder sehr zufrieden mit der Ausgestaltung der Demokratie in Deutschland. Und: 63 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Stärkung der direkten Demokratie aus und sogar 44 Prozent forderten, künftig mehr politische Fragen durch Volksabstimmungen zu entscheiden. Damit bringt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sein Misstrauen gegen die gewählten Gremien zum Ausdruck. Aus Politikverdrossenheit scheint sich inzwischen eine Politikerverdrossenheit entwickelt zu haben, die ihren Niederschlag im zivilen Ungehorsam und niedrigen Wahlbeteiligungen findet.

Dies ist aber nur eine sehr oberflächliche Erklärung, denn es bleibt weiterhin offen, warum in den letzten Jahren die Akzeptanz der Politik so stark abgenommen hat. Mögliche Gründe, die hierfür in der Presse häufig genannt werden, sind beispielsweise die Finanzkrise, hohe Vergütungen von Führungskräften aus der Wirtschaft (“Managergehälter”) und das sinkende Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft. Und so wird von vielen engagierten Bürgern ein deutliches Misstrauen gegen das Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik zum Ausdruck gebracht – hier besteht ganz offensichtlich der Wunsch nach mehr Transparenz und mehr Informationen.

Eine m.E. sehr überzeugende Begründung hierfür liefert der britische Philosoph Michael J. Sandel, der in seinem diskutierten Buch “Was man für Geld nicht kaufen kann” auch anhand vieler Beispiele aufzeigt, wie sich unser gesellschaftliches Umfeld von einer Marktwirtschaft in eine Marktgesellschaft gewandelt hat. Anders als noch vor wenigen Jahren werden in deutlich mehr Bereichen als früher Knappheits- und Verteilungsprobleme über marktwirtschaftliche Mechanismen – sprich: den Preis – gelöst. Dadurch, so Sandels These, wird Ungleichheit in Einkommens- und Vermögensfragen sichtbarer und bedeutsamer für den Einzelnen und löst zunehmende Zweifel aus, ob allein wirtschaftliche Prinzipien stets zu einer Optimierung des gesellschaftlichen Nutzens führen. Und dies könnte der Kern einer Misstrauensgesellschaft sein, die sich dann aus scheinbar nichtigen Anlässen formiert und eine Gegenposition zu vielen wirtschaftlichen Interessen einnimmt.

Wer treibt den bürgerlichen Protest heute?

Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat in einer vor kurzem veröffentlichten Studie untersucht, welche Personen oder Personengruppen heute den Bürgerprotest tragen – eine ausgesprochen zutreffende Beschreibung, denn die aktuellen Protestbewegungen werden von Bürgern im soziologischen Sinne getragen. Der typische Aktivist – so das Göttinger Institut für Demokratieforschung – ist männlich, im Regelfall mit einem akademischen Abschluss oder sogar einer Promotion ausgestattet, geht einer anspruchsvollen Berufstätigkeit nach und bezieht ein ordentliches Einkommen.

Anders als noch in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts findet man weniger jüngere Bürger unter den Aktivisten. Die Mehrheit der “Protestbürger” ist zwischen 45 und 65 Jahre alt – die Kinder sind aus dem Haus, die berufliche Laufbahn verläuft in geordneten Bahnen, und damit verfügen diese Menschen über ein essenzielles Gut, um sich in den Widerstand zu stürzen: Zeit! Und da für die Aktivitäten und Planungen einer Bürgerinitiative viel Zeit benötigt wird, finden sich unter den beteiligten Bürgern viele Vorruheständler, Rentner, Teilzeitangestellte und Freiberufler.

Die Sach- und Detailkenntnisse der Aktivisten sind vielfach sehr hoch und gehen deutlich über Laienwissen hinaus. Obwohl der einzelne aktive Bürger in dieser Form doch sehr konkret beschrieben werden kann, fällt es dennoch schwer, die Gruppierungen des Widerstands als klar definierte und homogene Gruppe zu begreifen. Vielmehr variieren die Motive der Einzelnen stark und so werden Protestbewegungen durch relativ uneinheitliche Zielvorstellungen zusammengehalten. Ein Versuch die Motivation der aktiven Bürger zu beschreiben, ist die Unterscheidung in mindestens drei Kategorien: Der Typus des “Idealisten/Realisten” verkörpert Personen, die entweder eine eher technisch geprägte Fragestellung sachlich richtig lösen und beantworten wollen oder aber eine übergeordnete ideologische Position vertreten. Unabhängig von seiner Ausrichtung – eher technisch oder eher ideologisch – verfügt dieser Typus regelmäßig über eine hohe Sachkenntnis, die er in die Diskussion einbringt.

In der zweiten Kategorie finden sich strukturkonservative Vertreter. Diese haben ein hohes Interesse und eine hohe Bindung an den Ort oder die Region ihres Engagements und versuchen dort den jeweiligen Status Quo zu erhalten und bewahren.

In der dritten Kategorie findet sich der sog. Nimby (“not in my backyard”), dessen Motivation für sein Engagement die Vertretung eigener Interessen ist. So ist ein Nimby beispielsweise für die Energiewende – engagiert sich aber gegen den dafür notwendigen Netzausbau, wenn der seinen persönlichen Lebensraum beeinträchtigt.

Konsequenzen für die Kommunikation mit Bürgerbeteiligungen

Die fehlende Homogenität der Protestbewegungen erschwert eine zielgerichtete Kommunikation. So können zwar Meinungsführer einer Bürgerbewegung vergleichsweise schnell identifiziert und direkt angesprochen werden, das Umfeld aber, das von aktiven Unterstützern über latente Sympathisanten bis hin zu einfach nur neugierigen Bürgern mehr Distanz zu den Trägern einer Protestbewegung hat, ist nur schwer zu identifizieren und somit für eine direkte Ansprache kaum erreichbar. Dies erfordert in der heutigen Zeit eine Kommunikation über viele unterschiedliche Kanäle – nur so sichern sich Projektentwickler und Kommunen frühzeitig die Kommunikationshoheit und behalten diese auch im laufenden Verfahren.

Und – ein häufig unterschätzter Aspekt: Die Aktivisten sind zwar aufgrund Ihrer eigenen im wahrsten Sinne des Wortes “Betroffenheit” laut und redegewandt, repräsentieren aber durchaus nicht immer die Mehrheit. Diese schweigt leider viel zu häufig und das aus verständlichen Gründen: Denn wer sich in einer aufgeheizten Bürgerversammlung für ein Projekt ausspricht ist einerseits nicht „en vogue“ und sieht sich andererseits mit einer aggressiven Rhetorik konfrontiert. Auch fehlen ihm objektive Informationen und Sachargumente – denn die geschickte Bespielung aller Medien haben oft genug nur die Gegner für ihre einseitigen Darstellungen genutzt. Abhilfe kann hier eine zielgerichtete Kommunikationspolitik der Projektinitiatoren gerade auch über das Internet schaffen, denn ein guter Bürgerdialog fängt bei einer verständlichen und objektiven Darstellung von Projektinformationen an. Hier können sich alle Interessierten umfassend und unabhängig von Kenntnisstand, Zeit und Raum informieren und Befürworter eines Projektes im geschützten Raum auch ein „gefällt mir“ verteilen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2012/2013