15.07.2015

Berlin ist nicht überall

Eine differenzierte Betrachtung des deutschen Mietwohnungsmarkts

Thomas Hegel, CEO, LEG Immobilien AG
Thomas Hegel

Unter den deutschen Mietwohnungsmärkten nimmt Berlin eine Sonderstellung ein. In keiner anderen Stadt leben so viele Menschen zur Miete, und die Mieten und Kaufpreise für Wohnungen sind in den letzten Jahren überdurchschnittlich stark angestiegen. Durch die hohe politische und öffentliche Aufmerksamkeit für den Berliner Mietwohnungsmarkt scheinen andere immobilienwirtschaftlich interessante Standorte derzeit nur noch am Rande wahrgenommen zu werden. Berlin ist aber nicht überall. 

Markteinschätzungen anhand von Daten und Fakten zu Wirtschaft, Kaufkraft, Beschäftigung und Demografie zeichnen ein sehr viel differenzierteres Bild von den Wohnungsmärkten in Deutschland, als es der erste Eindruck durch die Berichterstattung vermuten lässt. Ein Vergleich des Berliner Wohnungsmarktes mit den Wohnungsmärkten in Nordrhein-Westfalen und anderen Teilen Deutschlands illustriert die Unterschiede.

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Immobilienmärkte hängen in erheblichem Ausmaß von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Darunter fallen beispielsweise das Wirtschaftswachstum, die Entwicklung der Arbeitslosenquote und die Kaufkraft. Das Bruttoinlandsprodukt befindet sich in Berlin, in Nordrhein-Westfalen und in Gesamtdeutschland in einem langfristigen Aufwärtstrend. 2012 erreichte es in Berlin knapp über 100 Milliarden Euro und in Nordrhein-Westfalen 582 Milliarden Euro. Bei der Entwicklung der Kaufkraft schnitt Berlin in den zurückliegenden Jahren deutlich besser ab als NRW bzw. Gesamtdeutschland. 2012 legte sie in Berlin gegenüber 2010 von 16.380 Euro pro Kopf und Jahr um 15,3 Prozent auf 18.880 zu – deutlich dynamischer als in NRW (von 19.150 auf 20.370) und der Bundesrepublik von 18.900 auf 20.150 (6,4 bzw. 6,6 Prozent). Die Arbeitslosenquote bleibt in der Hauptstadt hingegen mit 12,3 Prozent (2012) im deutlich zweistelligen Bereich, während sie in NRW unter die 10-Prozent-Schwelle gesunken und seitdem bis auf 8,1 Prozent (2012) zurückgegangen ist.

Mietentwicklung

Die starke Zuwanderung, verstärkt auch aus dem europäischen Ausland, der Anstieg der Kaufkraft und die zunehmende Wohnungsknappheit in Berlin sind ausschlaggebende Faktoren für die stark steigenden Mieten. Laut eines Marktreports von CBRE und der GSW legten sie allein im letzten Jahr um 13,8 Prozent auf 7,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter und Monat zu. Innerhalb von Nordrhein-Westfalen wird dieser Wert nur in Düsseldorf und Köln (je 8,33 Euro), Münster (8,16 Euro) und Bonn (7,97 Euro) übertroffen. Die durchschnittliche Angebotsmiete über alle 54 kreisfreien Städte und Landkreise beträgt 5,73 Euro. Während die Mieten in allen Teilmärkten Berlins steigen, ist die Entwicklung der Mieten in anderen deutschen Kommunen und in NRW sehr viel stärker regional ausdifferenziert. Auffällig ist jedoch, dass die Preiskurve in kleineren Städten wie Erlangen, Osnabrück oder Oldenburg und Landkreisen Nordrhein-Westfalens stellenweise jetzt erst ansteigt.

Angebots- und Nachfragesituation

In Berlin wurden 2011 gerade einmal 1.990 Wohnungen im Geschosswohnungsbau fertiggestellt und im Jahr 2012 lediglich 3.519 neue Wohnungen genehmigt – bei einer Bevölkerung von über 3,5 Millionen Einwohnern. Auch in anderen Ballungsräumen Deutschlands hält die Neubautätigkeit nicht mit dem tatsächlichen Bedarf Schritt. In Hamburg mit knapp 1,8 Millionen Einwohnern wurden im Jahr 2011 beispielsweise nur 3.700 Wohnungen errichtet, in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 nur 33.685 Wohnungen, bei knapp 17,9 Millionen Einwohnern. Während die Bautätigkeit in Berlin im Vergleich zur Nachfrageentwicklung sehr gering blieb, lag sie in NRW in etwa im Bundesdurchschnitt – bei regionalen Schwankungen je nach Ballungsgebiet und dessen wirtschaftlicher Situation. Für den Wohnungsmarkt ist die Entwicklung der Zahl der Haushalte der wichtigste Nachfragetreiber. In Berlin ist die Haushaltszahl zwischen 2003 und 2011 um 14,6 Prozent angestiegen. Für NRW ermittelten die Statistischen Ämter der Länder und des Bundes im gleichen Zeitraum einen Anstieg um 11 Prozent, in ganz Deutschland stieg die Zahl der Haushalte dagegen nur um 3,8 Prozent. In der Langfristprognose wird von 2009 bis 2030 ein Anstieg der Haushaltszahl um 2,9 Prozent vorhergesagt. Die Nachfrage nach Mietwohnungen wird demzufolge weiter steigen, auch wenn die Einwohnerzahl in diesem Zeitraum stagniert oder leicht zurückgeht.

Differenzierte Betrachtung anhand marktspezifischer Indikatoren

Ausgewogen zusammengesetzte Investmentportfolios setzen auf eine Mischung aus Assets mit verschiedenen Risiko-Rendite-Profilen. Das gilt gleichermaßen für Wohnungsportfolios. Investoren beschränken ihren Blick dabei neuerdings nicht mehr nur auf die beliebten deutschen A-Standorte. Kaufpreise und Mieten stiegen in den Top-7-Städten in den letzten Jahren rasant. Für Anleger stellt sich die Frage, wieviel Steigerungspotenzial Berlin, München & Co. noch bieten. Vor diesem Hintergrund rücken vermehrt andere Standorte in den Fokus, die Renditepotenzial versprechen. So beispielsweise B-Standorte mit positiver Bevölkerungsentwicklung und guten Haushaltsprognosen wie Bremen, Mannheim oder Nürnberg. Auch Universitätsstädte wie Karlsruhe, Freiburg, Erlangen oder Potsdam, die eine steigende Nachfrage nach Wohnraum erwarten lassen, können bei differenzierter Betrachtung lohnend für ein Investment sein. Interessante Wohnungsmärkte, an die sich bisher wenige Investoren herangewagt haben, finden sich darüber hinaus in Ostdeutschland. Eine wachsende Wirtschaft und Produktivität sowie die verbesserte Infrastruktur haben die Immobilienmärkte in Städten wie Dresden, Leipzig, Erfurt nachhaltig verbessert und bieten neue Investitionschancen.

Die Identifikation von Marktchancen und die Möglichkeit einer transparenten Steuerung von Immobilienportfolios setzen gerade in heterogenen Gesamtmärkten eine differenzierte Betrachtung der Teilmärkte anhand geeigneter Fundamentaldaten voraus.

Die LEG verwendet hierzu ein von CBRE entwickeltes Scoringverfahren, das die Perspektiven der Teilmärkte durch Indikatoren ermittelt, die für die Wertentwicklung und den Ertrag von Mietwohnungen relevant sind: die Bevölkerungsentwicklung, die Haushaltsprognose, die Kaufkraftkennziffer, die Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, das Mietniveau und der Vervielfältiger für Mehrfamilienhäuser. In der Abbildung „Klassifizierung der Teilmärkte“ sind die 54 kreisfreien Städte und Landkreise Nordrhein-Westfalens entsprechend ihrer Scoring-Werte drei verschiedenen Risiko-Rendite-Kategorien zugeordnet. In der Kategorie „Wachstumsmärkte“ sind alle Teilmärkte mit hohen Scoring-Werten zusammengefasst. Sie zeichnen sich vor allem durch ein starkes Bevölkerungs- und Haushaltszahlenwachstum aus. Teilmärkte dieser Kategorie sind allgemein Städte an der Rheinschiene und Universitätsstädte. Die „stabilen Märkte mit attraktiven Renditen“ umfassen Teilmärkte mit mittleren Scoring-Werten. Sie verfügen über Bevölkerungs- und Haushaltszahlen, die sich nur wenig verändern und über solide wirtschaftliche Fundamentaldaten verfügen. Das trifft beispielsweise für Dortmund, Hamm und Bielefeld zu. In der Kategorie „Märkte mit hohen Renditen“, im Schwerpunkt „Teilregionen des nördlichen Ruhrgebiets“, sind schließlich alle Teilmärkte zusammengefasst, in denen sich sinkende Einwohner- und Haushaltszahlen in geringen Scoring-Werten niederschlagen. Sie sind, meist bedingt durch den Strukturwandel oder durch ihre ländliche Prägung, wirtschaftlich schwächer aufgestellt als die Teilmärkte der anderen beiden Kategorien. Investitionen setzen hier risikobedingt höhere Renditen voraus. Beispiele für diese Teilmärkte sind Duisburg, der Kreis Recklinghausen und der Märkische Kreis.

Im Ergebnis gibt es in Nordrhein-Westfalen einige wirtschaftlich starke Zentren, die inklusive ihrer Einzugsgebiete gute Wachstumschancen für Wohnimmobilien versprechen. Auf den zweiten Blick gibt es durch die dezentrale und heterogene Struktur des Bundeslandes mit seinen zahlreichen Kreis- und Mittelstädten eine Reihe guter und stabiler Märkte mit soliden wirtschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen. Entscheidend ist die Qualität des Mikrostandortes. Die analytische Betrachtungsweise lässt sich ohne weiteres auf das gesamte Bundesgebiet übertragen.

Fazit

Ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit kann in einem Teilmarkt durchaus dazu führen, dass die Sicherheit von Investitionsentscheidungen steigt. Durch die Medienpräsenz springen Investoren auf den scheinbar fahrenden Zug auf und es kommt zum Effekt der self-fulfilling prophecy. Die Aufmerksamkeit kann sich im Einzelfall auch gegen die Interessen von Unternehmen und Investoren drehen: In Berlin wurde in bestimmten Lagen aus politischen Gründen die unternehmerische Handlungsfreiheit durch weitreichende Sanierungs- und Nutzungsauflagen eingeschränkt.

Die Gegenüberstellung des Berliner Wohnungsmarktes mit den Märkten von Nordrhein-Westfalen und anderer Regionen Deutschlands zeigt, dass ein Blick auf die demografischen und ökonomischen Rahmendaten von Immobilienstandorten unverzichtbar ist. Im Rahmen des LEG-Scorings wurde Berlin ebenso wie die anderen Top- Immobilienstandorte Deutschlands als Referenzstandort mitbewertet.

Die Hauptstadt erreichte dabei wegen ihrer Schwächen in der Wirtschaftsstruktur einen mittleren Scoring-Wert und zählt dadurch nicht zur Kategorie der „Wachstumsmärkte“, sondern zu den „stabilen Märkten mit attraktiven Renditen“. Die Immobilienmärkte in den zahlreichen weiteren prosperierenden Regionen Deutschlands stehen hingegen auf einem sehr viel breiteren wirtschaftlichen Fundament. Die heterogene Marktstruktur erlaubt es Immobilienunternehmen und Investoren, sich strategisch diversifiziert aufzustellen, um einerseits bei geringen Risiken von soliden Mieterträgen zu profitieren, andererseits aber auch Wachstumschancen durch gezielte Kapitalinvestitionen zur Wertsteigerung zu nutzen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2012/2013

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