15.07.2015

Bauprojekte unter Kontrolle

Mehr Transparenz und Sicherheit durch Gebäudedatenmodellierung

Christine Gärtner, Manager, Ernst & Young Real Estate GmbH
Christine Gärtner

In Deutschland steht das System noch eher in den Startlöchern, in der Schweiz ist man schon in der Umsetzung: Die Rede ist vom digitalen Bauen oder der so genannten Gebäudedatenmodellierung, auch BIM (Building Information Modeling) genannt. Ziel ist eine bessere Kontrolle von Bauprojekten. Schon jetzt sprechen die Akteure von der größten Innovation im Bau seit Jahrzehnten.

Was ist BIM?

Auf den ersten Blick ist die Gebäudedatenmodellierung (oder auch Building Information Modeling, BIM) nur eine neue Software zur Gebäudeplanung. Jedes zu verbauende Element wird im Gebäude verortet – es entsteht eine computergenerierte dreidimensionale Ansicht des künftigen Gebäudes. Auf den zweiten Blick jedoch wird deutlich: Hinter jedem Bauteil stehen Informationen unter anderem über die Kosten sowie die voraussichtliche Einbau- oder Realisierungszeit. Darüber hinaus werden aber auch Informationen darüber verbucht, welche Anforderungen ein bestimmtes Element hat, um seiner Funktion gerecht werden zu können, und wie es sich wiederum auf die Funktionalität anderer Bauteile auswirkt. Ändert sich der Entwurf in einem Punkt, so wird ersichtlich, welche Folgewirkungen für das Gesamtgebäude resultieren – respektive ob noch an anderer Stelle umgeplant werden muss, beispielsweise um die geplante Bauzeit einhalten zu können. Auch konkrete Fragen der späteren Nutzung können über BIM beantwortet werden: Wie hoch fallen – über den kompletten Lebenszyklus betrachtet – die Nebenkosten aus, wenn sich die Fassadenstruktur und damit gegebenenfalls die durchschnittliche Raumtemperatur ändert (und mit ihr der Heiz- oder Kühlaufwand)? Das System umfasst Architektur und Gebäudetechnik sowie die baubezogenen Prozesse und verzahnt sie in hohem Maße. Dies bietet nicht nur im Vorfeld Chancen für eine Optimierung der Planung, sondern auch noch während der Realisierung eines Bauprojekts: Liegt dem Bau ein BIM-System zugrunde, können eventuell auftretende Änderungen beispielsweise mit Blick auf Qualitäts- oder Ausführungsstandards während des Baufortschritts reibungsloser berücksichtigt werden als ohne BIM – denn die Auswirkungen und eventuell erforderliche weitere Änderungen werden über ein in sich schlüssiges System für alle Beteiligten sofort transparent. Hierin besteht einer der wesentlichen Vorteile für den Anwender und den Bauherrn: in den umfassenden, offen zugänglichen und von mehreren Parteien gleichzeitig nutzbaren Gebäudeinformationen über den kompletten Lebenszyklus von Realisierung und Betrieb über Schritte wie Umnutzung und Sanierung bis hin zu Abbruch und Entsorgung.

Erfahrungen in der Schweiz

In vielen ausländischen Immobilienmärkten sind BIM-Systeme längst Realität: Großbritannien, die Niederlande, Dänemark, Finnland und Norwegen schreiben die Nutzung von BIM bei öffentlich finanzierten Bauvorhaben bereits vor. Auch in vielen anderen Ländern tastet man sich an das Thema heran. Die Schweiz beispielsweise ist ein Land, das seit kurzem auf die Gebäudedatenmodellierung setzt – ebenfalls bei öffentlichen Bauvorhaben. Die Planungs- und Baubranche steht vor einem Umbruch, heißt es in der Schweiz. BIM und die zugehörigen Technologien seien ein wichtiger Anstoß zur Umge­staltung der Arbeits- und Denkweise. Die Technologie stehe bereit. Und sie wird angewendet – zum Beispiel ein Spital in Bern. Die BIM-Methodik kam hier für die Planung, Erstellung und Bewirtschaftung zur Anwendung. Hervorzuheben sind hier zwei Dinge. Erstens: BIM wurde bereits in der Wettbewerbsphase des Projekts eingesetzt, um einen maximalen Benefit des Systems von der Planung bis zur späteren Nutzung des Spitals zu generieren. Mit der späteren Nutzung hängt der zweite Punkt zusammen: das System ist eng mit dem Facility Management als Betreiber der Immobilie verzahnt. So sollte BIM beispielsweise auch über mobile Endgeräte (Tablets) nutzbar (anwendbar)sein, also vor Ort funktionieren. Das Facility Management war frühzeitig eingebunden und hat seine Wünsche an das System entsprechend früh formulieren können. Insgesamt aber galt: Die meisten Beteiligten waren BIM-Neulinge, die an die Materie zunächst herangeführt werden mussten – eine Tatsache, die uns auch in Deutschland beschäftigen wird. Um der Aufgabe in Bern Herr zu werden, wurde das Modell in doppelter Hinsicht geteilt: Zum einen in die Felder Architektur und Haustechnik, zum anderen innerhalb der Felder noch einmal:

Architektur

  • Teilung nach Hülle und Kern
  • Teilung nach Bauteil

Haustechnik

  • Teilung nach Systemen
  • Teilung nach Bauteil

Nachdem die Modellierung erfolgt war, folgte ein Konsistenz-Check – ein Schritt, der sich nicht nur bei BIM-Neulingen anbietet, sondern grundsätzlich der erforderlichen Komplexität des Modells geschuldet ist. In Bern wurden vor Beginn der Baumaßnahme geprüft:

  • Konsistenz der Strukturelemente Gebäude, Geschoss etc.
  • Konsistenz des Raummodelles
  • Architektonische Grundelemente Wände, Türen etc.
  • Brandabschnitte und Zonierungen
  • Prozesswege

Über die Einbindung und Rolle des Facility Managements als späteren Betreiber haben wir bereits gesprochen.

Deutschland in den Startlöchern

Deutschland ist noch nicht ganz so weit wie die Schweiz. Die wenigen bisherigen Initiatoren von BIM-Projekten sind hierzulande eher im privatwirtschaftlichen Feld zu finden: Häufig waren es Generalplaner oder Generalunternehmern, die BIM-Systeme initiiert haben. Sie haben – bedingt durch ihre Organisationsform – einerseits den größtmöglichen direkten Einfluss auf die komplexe Schnittstellenkoordination zwischen Planern und bauausführender Instanz und profitieren andererseits am meisten von einem effizienten Planungs- und Bauablauf. Wenig überraschend dabei: Generalunternehmer setzen BIM bislang insbesondere dann ein, wenn sie Gebäude selbst planen und betreiben sowie gegebenenfalls auch finanzieren. So jung das Thema in Deutschland ist – es gibt durchaus auch bereits realisierte Projekte, bei denen die BIM-Methodik zum Einsatz kam. Allerdings spiegelt sich hierbei erneut der Vorsprung des Auslands wider: Oft waren es ausländische Bauherren, die aus Ländern stammen, in denen die Gebäudedatenmodellierung vorgeschrieben ist.

Die öffentliche Hand zieht nach

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die öffentliche Hand in Deutschland nachziehen wird – voraussichtlich ab 2018 wird BIM als Methode für Bauvorhaben der öffentlichen Hand verpflichtend. Möglicherweise verhilft die EU dem System in Deutschland auch früher zum Durchbruch. Denn das EU-Parlament sprach Anfang des Jahres die Empfehlung aus, das Vergaberecht der Europäischen Union zu modernisieren. Dabei sei der Einsatz von computergestützten Methoden wie BIM zur Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen und Ausschreibungen vorzusehen. Mit der Verabschiedung einer entsprechenden Richtlinie sollen bis 2016 alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die Nutzung von BIM bei der Realisierung von öffentlich finanzierten Bau- und Infrastrukturprojekten fördern.

Fazit und Ausblick

In anderen Ländern ist die Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling, BIM) bei öffentlichen Bauvorhaben bereits Standard. In Deutschland gibt es (noch) keine diesbezügliche Vorgabe. Auch an entsprechenden Vertragswerken mangelt es noch, um BIM als anwendbare Methode in Deutschland auf breiter Front zu implementieren. Allerdings sind die ersten Schritte auch ohne Verpflichtung getan. Einige private Bauherren und Bauträger haben die Vorteile wie eine verbesserte Schnittstellenkoordination, eine höhere Planungs-, Termin- und Kostensicherheit und mehr Transparenz über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks erkannt und setzen freiwillig auf BIM. Damit sich das System weiter durchsetzt, sind aus unserer Sicht entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten im digitalen Bauen erforderlich. Schweizer Hochschulen bieten bereits entsprechende Module an inklusive Studienreisen in die „Ursprungsländer“ wie Dänemark. In Deutschland gibt es derzeit viele Forschungsprojekte im Zusammenhang mit dem digitalen Bauen. Sie reichen vom Einsatz bei öffentlichen Vergabeverfahren für PPP-Projekte über die Optimierung von Leichtbauteilen für die Luftfahrt bis hin zu digitalen Anwendungen für städtische Entwicklungskonzepte. Die Forschung wird – neben dem vereinzelt zu beobachtenden BIM-Einsatz in der privaten Wirtschaft – das Thema weiter befeuern. Spätestens 2018 dürfte BIM für öffentliche Bauprojekte ohnehin verpflichtend sein. Die private Bauwirtschaft sollte vorher umdenken, um die sich dann ergebenden Chancen nutzen zu können.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Ernst & Young Real Estate GmbH
Erstveröffentlichung: September 2014, Ernst & Young Real Estate Trends