Welchen Beitrag hat der Gebäudesektor in Deutschland zu leisten?
Die Debatte über Nachhaltigkeit in Deutschland hat einen kritischen Wendepunkt erreicht. Jüngste politische Entwicklungen offenbaren eine wachsende Skepsis gegenüber den EU-Vorhaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung – insbesondere zur „CSRD“ (Corporate Sustainability Reporting Directive). Diese Zurückhaltung steht jedoch in klarem Widerspruch zu Deutschlands ambitioniertem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein.
„Wir dürfen jetzt nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen“, mahnt Julia Staunig, Chief Growth Officer des skandinavischen ESG-Vorreiters Position Green. In ihrer Rolle verantwortet sie die Umsetzung erfolgreicher Nachhaltigkeitsstrategien internationaler Unternehmen. „Nachhaltigkeitsexperten tragen in Zeiten politischer Unsicherheiten und fehlender Leitlinien eine immense Verantwortung, die Industrie weiterhin zu dekarbonisieren“, so Staunig. „Wir können die Dekarbonisierung nicht im Blindflug vorantreiben. Auch die Datenerhebung, -verfolgung und Berichterstattung ist immens wichtig, um die Ziele effektiv verfolgen zu können“, fügt sie hinzu.
Besonders dringlich sei der Handlungsbedarf im Gebäudesektor, so Staunig weiter: „Dieser zum Teil unterschätzte Emissionstreiber ist laut Umweltbundesamt für etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und rund 30 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich.“ Zwar weist der Klimaschutzbericht 2024 der Bundesregierung auf einen Rückgang der Emissionen in diesem Bereich hin, doch Experten bezweifeln, dass die Klimaziele bis 2030 erreicht werden können. Staunig teilt diese Skepsis, nicht zuletzt, weil viele Akteure zusammenarbeiten müssen, um den Gebäudebestand zu modernisieren.
Ein Blick nach Schweden zeigt, wie es möglicherweise besser gehen könnte: „Der Gebäudesektor verursachte dort 2021 lediglich 22 Prozent der CO₂-Emissionen – ein signifikanter Unterschied“, betont Staunig. Dieser Fortschritt sei kein Zufall, sondern das Ergebnis klarer Strategien und gezielter Maßnahmen, die sowohl von der Industrie als auch von der Politik vorangetrieben wurden.
In Skandinavien, besonders in Schweden, betrachten Unternehmen Nachhaltigkeit zunehmend als Chance. Die EU-Taxonomie wird dort nicht nur als regulatorischer Rahmen oder Investorenforderung gesehen, sondern als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. „Dieses proaktive Vorgehen wirkt sich nicht nur positiv auf die Umwelt aus, sondern verschafft Unternehmen langfristige Wettbewerbsvorteile“, erklärt Staunig.
In Deutschland tendieren Investmentfonds dazu, zögerlicher zu agieren: Nur etwa ein Viertel sind bisher nach Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung klassifiziert. Staunig unterstreicht, dass erfolgreiche Emissionsreduktionsstrategien auf umfassender Datenanalyse und klarer Messbarkeit beruhen müssen. Während für betriebsbedingte Emissionen bereits bewährte Ansätze wie grüne Mietverträge („green leases“) oder intelligente Zähler („smart meters“) existieren, stellt die Messung des gebundenen Kohlenstoffs („embodied carbon“) eine größere Herausforderung dar. Dieser umfasst Emissionen, die durch Bauarbeiten, Materialnutzung, Transport und Abriss entstehen.
„Schweden ist auch hier Vorreiter“, betont Staunig. Seit 2022 sind Unternehmen dort gesetzlich verpflichtet, Klimadeklarationen für Bauprozesse bei der Schwedischen Baubehörde einzureichen. Diese Daten werden öffentlich über die Plattform Embodied Carbon Declared zugänglich gemacht – ein Ansatz, der Transparenz schafft und nachhaltigere Praktiken fördert.
Dänemark erweist sich ebenfalls als Pionier: Mit seiner 2021 veröffentlichten nationalen Strategie für nachhaltiges Bauen plante das Land, nach einer zweijährigen Testphase 2023 die verpflichtende Berechnung der Lebenszyklusanalyse (LCA) für Neubauten einzuführen. Für Neubauten über 1.000 m² gilt ein CO₂-Grenzwert von 12 kg CO₂-Äquivalenten pro Quadratmeter und Jahr. „Diese Initiativen zeigen, dass es möglich ist, Emissionen ganzheitlich über den Lebenszyklus von Immobilien zu berechnen und den gesamten CO₂-Fußabdruck einzelner Objekte transparent zu machen“, erklärt Staunig.
Deutschland könne von diesen Ansätzen viel lernen. Anstatt abzuwarten, müssten Unternehmen die Initiative ergreifen und Nachhaltigkeit als strategische Notwendigkeit begreifen. Politische Unsicherheiten und die Verzögerung bei der Umsetzung der CSRD und anderen Gesetzen, die die notwendige Datentransparenz zur Dekarbonisierung schaffen, dürften nicht dazu führen, Investitionen in nachhaltige Projekte zu stoppen. Ein solches Zögern würde nicht nur die Erreichung der Klimaziele gefährden, sondern langfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zunehmend schwächen.
Staunigs einführender Appell ist unmissverständlich: „Wir dürfen jetzt nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen.“ Die Zukunft erfordert entschlossenes Handeln, mutige Entscheidungen und die Bereitschaft, von den Besten zu lernen. Schweden und Dänemark zeigen, wie es geht. Es liegt nun am deutschen Immobiliensektor, diese Vorbilder zu adaptieren und eine führende Rolle in der globalen Nachhaltigkeitstransformation einzunehmen.
Position Green ist Partner der ESG Factory am 30. Januar 2025
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Position Green
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2025