Oder: Wie Digitalisierung und Innovation einen neuen Strukturwandel in Deutschland befördern
Die Welt im Jahr 2035: Ein potentieller Mieter besichtigt eine Wohnung nicht mehr physisch, sondern führt lediglich einen virtuellen Rundgang durch, ein Chatbot beantwortet ihm alle aufkommenden Fragen. Bei Zuschlag erhält der Mieter einen in einer Blockchain sicher gespeicherten Zugangscode, den er bis zum Ende der Mietlaufzeit anwenden kann.
Ist das die Zukunft der vollkommen digitalisierten Immobilienwirtschaft? Was wird alles in der Wohnung digitalisiert sein und welche Branchen spielen dabei auch eine Rolle? Ob es im Jahr 2035 tatsächlich so aussehen wird, kann niemand vorhersehen. Fakt ist aber, dass wir uns derzeit inmitten einer digitalen Transformation befinden, die unsere Lebensumgebung in vielen Bereichen massiv verändern wird. Und einige der Elemente solcher Zukunftsszenarien sind heute bereits Realität. Zukunftsszenarien sind jedoch oft so gezeichnet, dass sie Sorge vor der Zukunft auslösen – beabsichtigt oder nicht. In dem eingangs gezeichneten Beispiel ist es das Fehlen der menschlichen Interaktion. Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die digitale Transformation durch einen gesamtgesellschaftlichen Prozess zu gestalten, der die Bürgerinnen und Bürger mitnimmt und gleichsam Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet.
Jedes Unternehmen muss für sich vorausschauend prüfen, wie es von der Digitalisierung profitieren und welche Potenziale in Gestalt von Effizienzsteigerungen und Produktivitätszuwächsen die digitale Transformation evolutionär bieten kann. Darüber hinaus ist es ratsam darüber nachzudenken, ob das eigene Geschäftsmodell und die eigene Branche von Disruptionen betroffen sein kann. Die „Uberisierung“ ganzer Branchen ist zum geflügelten Wort avanciert. In jedem Fall ist ein Blick über den eigenen Tellerrand enorm hilfreich. Der Austausch mit Unternehmen aus anderen Branchen, die erfolgreich in Digitalisierungsprojekte investieren, und mit innovativen Vorreitern, wie Startups, bietet Anregungen. Denn vieles, was den digitalen Wandel der Wirtschaft ausmacht, läuft in den unterschiedlichen Branchen ähnlich: beispielsweise Kooperationen mit Startups, Entwicklung von Plattformgeschäftsmodellen, datenbasierte Wertschöpfung oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder Blockchain-Technologie. Wussten Sie, dass heute zum Beispiel nicht mehr Flugzeugtriebwerke verkauft werden, sondern die tatsächliche Triebwerksleistung, der Schub? Manche Innovation aus einer Branche ist vielleicht auch für eine andere Branche bahnbrechend. Und: neue Konkurrenz schert sich wenig um Branchengrenzen!
Zur Beförderung dieses Austauschs hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie etwa die Digital Hub Initiative ins Leben gerufen. Zwölf Digital Hubs in ganz Deutschland bilden ein starkes Netzwerk, das den Austausch technologischer und wirtschaftlicher Expertise, Programme und Ideen befördert. Mit der Digital Hub Initiative sollen die unterschiedlichen Städte mit ihren jeweiligen Profilen besser vernetzt und insbesondere unsere industriellen und ingenieurtechnischen Stärken schlagkräftig im In- und Ausland sichtbar gemacht werden – damit eben auch dringend benötigte Softwarespezialisten in attraktiven deutschen Hubs ihren Anker werfen. Unter den Hubs sind mit Köln und Dortmund auch zwei aus Nordrhein-Westfalen vertreten. An jedem Digital Hub kommen Startups, Unternehmen und Wissenschaft zusammen, um gemeinsam Antworten auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu finden. Es gibt auch in der Immobilienwirtschaft schon viele sehr interessante Start-ups, besser bekannt unter dem Stichwort PropTechs (Property Technology). Davon profitieren beide: die etablierte Wirtschaft von innovativen Ideen und die jungen Gründer von den Erfahrungen, der Marktkenntnis und nicht zuletzt auch den Kontakten der „Alteingesessenen“.
Branchenübergreifend werden sich ähnliche Fragen gestellt. Es geht um eine neue Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen. Es geht um neue Geschäftsmodelle und um Veränderungen ganzer Wertschöpfungsketten. Jedes Unternehmen muss sich dem digitalen Wandel stellen.
Alles in allem gilt: Wenn wir uns dem Wandel stellen, wenn wir die Herausforderungen der globalen digitalen Revolution annehmen, wenn wir es schaffen, unsere wirtschaftliche Stärke als Katapult für den Digitalisierungswettlauf zu nutzen, dann braucht uns vor dem digitalen Strukturwandel nicht bange sein. Die Stärken unserer Wirtschaft – wie unser Ausbildungssystem oder unsere hervorragende Wettbewerbsposition in vielen Branchen – verschaffen uns hier nicht nur eine gute Ausgangsposition, sie werden auch im digitalen Zeitalter zur Geltung kommen und sich in Arbeitsplätzen und Wachstum auszahlen. Eine erfolgreiche digitale Transformation wird uns helfen, neue Mobilität, neue Möglichkeiten für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber und neue Handelsformen zu schaffen, die den Menschen nutzen. Bereits heutzutage kann man sich in vielen Großstädten auf einer App anzeigen lassen, welche Fahrzeuge in der Umgebung minutenweise gemietet werden können. Vielleicht wird es in wenigen Jahren möglich sein, digital das autonom fahrende Sammeltaxi vor der Wohnung zu finden.
Auch für die Immobilienwirtschaft hat das Thema Digitalisierung eine umfassende Bedeutung. Es gibt zahlreiche Felder, in denen die digitale Transformation bereits in vollem Gange ist oder noch greifen wird. Hier geht es vor allem um intelligente Gebäude, die Optimierung der Geschäfts- und Produktionsprozesse, Nutzung neuer Möglichkeiten zur Kundenansprache und die stärkere Verbreitung brancheninterner Kooperationsplattformen.
Insbesondere im Bereich intelligente Gebäude wird die Immobilienwirtschaft mit anderen Branchen zusammenwachsen. So kann zum Beispiel das komplette Energiemanagement in ein Smart Home integriert werden: Der grüne Strom vom Dach wird für den eigenen Elektroroller und die Wärmepumpe gespeichert und steht rund um die Uhr zur Verfügung. Aber ein smartes Home kann durchaus in mehr Bereichen digitalisiert sein. Mit intelligenten Rollläden, Waschmaschinen und Unterhaltungselektronik, wie Sprachassistenzsysteme, findet ein Großteil der Digitalisierung des Lebensumfeldes in der Wohnung statt. Durch die Digitalisierung kann ebenfalls die Pflege in der eigenen Wohnung an Bedeutung zunehmen. Alte, pflegebedürftige Menschen können länger in den eigenen vier Wänden bleiben, wenn diese mit entsprechender Technik ausgestattet sind. Mit Sensoren versehene Teppiche können sofort einen Sturz an den zuständigen Pflegedienst melden und Kontakt mit den Angehörigen ist per Videotelefon möglich. Hier sind branchenübergreifende intelligente Lösungen gefragt, die das digitale Umfeld der Wohnung als Pluspunkt für den Mieter erscheinen lassen. Es ist eine große Herausforderung vor allem für viele mittelständisch geprägte Hersteller in Deutschland, ihre Systeme interoperabel und nach einheitlichen Standards zu gestalten. Die Wirtschaftsinitiative Smart Living, der sich inzwischen alle relevanten Spitzenverbände insbesondere der Hersteller, des Handwerks und der Wohnungswirtschaft sowie maßgebliche Unternehmen angeschlossen haben, will deshalb branchenübergreifend Interessen bündeln. Ziel der Wirtschaftsinitiative ist es, Deutschland zum Leitmarkt für Smart Living-Technologien auszubauen und „Smart Living - Made in Germany“ zu einem internationalen Qualitätsmaßstab zu machen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie flankiert diese Initiative und hat als konkrete Unterstützungsmaßnahme eine eigenständige neutrale Geschäftsstelle Smart Living als koordinierende Instanz zur Vermittlung zwischen den Branchen eingerichtet (www.smart-living-germany.de).
Ob es im Jahr 2035 so zugehen wird, wie eingangs geschildert, ist offen, denn meist entwickeln sich ja gänzlich unerwartete Konzepte. Klar ist allerdings, dass Menschen auch in Zukunft wohnen werden – wenn auch in einem zunehmend digitalen Ambiente. Und ebenso klar ist, dass in der Digitalisierung – wenn wir sie beherzt anpacken – mehr Chancen als Risiken liegen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Oliver Wittke
Erstveröffentlichung: LEG Wohnungsmarktreport NRW 2018, erschienen im September 2018